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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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herausgeschmuggelt.
    Wirtschaftsspionage zählt, da sich unsere Zivilisation für ein Leben in fortwährendem Konkurrenzkampf entschieden hat, zu den unentbehrlichen Hilfsmitteln all jener, die allein auf die eigenen Kräfte gestellt untergehen würden. Ohne Frage ist sie unmoralisch. Aber Moral ist in der Geschäftswelt etwas, über das man allenfalls redet, nicht jedoch Grundlage geschäftlicher Entscheidungen. Grundlage geschäftlicher Entscheidungen ist, was welchen Nutzen bringt und was welches Risiko bedeutet. Niemand würde es öffentlich gutheißen, Steuern zu hinterziehen, oder sich dazu bekennen, Aufträge durch Bestechung von Entscheidungsträgern zu erhalten. Trotzdem tut es jeder, wenn er glaubt, damit durchzukommen, und sei es nur, weil es die anderen auch tun und man sich den Wettbewerbsnachteil, den einem Ehrlichkeit einbrächte, nicht leisten kann.
    Im Arsenal der unmoralischen Hilfsmittel spielt Wirtschaftsspionage eine Sonderrolle. Es ist die Waffe, mit der sich die Kleinen gegen die Großen wehren, die Dummen gegen die Klugen und oft genug auch die Schwachen gegen die Starken. Mehr als ein Dutzend Firmen in Ländern, die wir so herablassend zur »Dritten Welt« rechnen, verdanken praktisch ihr gesamtes technisches Know-how meinen professionellen Bemühungen und setzen heute ganze Regionen in Lohn und Brot. Regionen, die vor zwanzig Jahren noch am Tropf der »Entwicklungshilfe« genannten Almosen gehangen hatten, mit denen sich die industrialisierten Länder lästige Konkurrenz vom Hals halten. Nicht, dass ich daraus eine Art »Robin-Hood«-Rechtfertigung konstruieren will; diese Leute hatten für meine Dienste bezahlt wie alle anderen auch, und ich war nie billig gewesen. Ich hatte nie das Bedürfnis, mich zu rechtfertigen, und es war mir egal, für wen ich arbeitete. Mit genau der gleichen Akribie hatte ich für multinationale Konzerne gearbeitet und kleinen, aufstrebenden Firmen die Formeln, Codes oder Baupläne entwendet, die, wäre ich nicht gewesen, die Gründer besagter Firmen zu Millionären gemacht hätten. Das Leben war hart, und ich war es auch.
    Natürlich unterliegt das Geschäft des gewerblichen Spionierens denselben Wettbewerbsbedingungen wie jede andere Form gewerblicher Betätigung auch. Die Konkurrenz ist zahlreich, der Wettbewerb erbittert. Hacker – also Leute, die sich über Datennetze in fremde Computersysteme einklinken, um dort auf die Suche nach interessanten Daten zu gehen – gibt es wie Sand am Meer. Sie mögen ihre Daseinsberechtigung haben; auf jeden Fall verkörpern sie das Bild, das sich die Öffentlichkeit von einem Industriespion macht. Ich jedoch begebe mich vor Ort, ich weiß, was ich tue, und ich kann einschätzen, was ich zu sehen bekomme. Das ist mein persönlicher Wettbewerbsvorteil.
    Denn was ist, wenn sich die interessanten Daten in Computern befinden, die an kein Netz angeschlossen sind? Was, wenn die Unterlagen, auf die es ankommt, überhaupt nicht in digitaler Form vorliegen, sondern als Papiere, Pläne, handschriftliche Notizen? In solchen Fällen schlägt meine Stunde. Ich komme nicht durch ein Kabel, ich komme durch die Tür. Ich knacke keine Passwörter, ich knacke Schlösser. Ich bin nicht darauf angewiesen, dass es einen Zugang gibt zu den Informationen, die meine Auftraggeber interessieren, ich bahne mir meinen Zugang selbst.
    Ich bin oft als altmodisch belächelt worden, doch tatsächlich werde ich immer moderner. Die Zeit ist auf meiner Seite. Viele Firmen, die sich ihrer Verletzbarkeit durch Hacker-Attacken bewusst sind, vernachlässigen den Schutz gegen Leute, die einfach durch ihre Tore spazieren und existenzwichtige Dokumente davontragen können, und zwar in einem Maße, das ans Absurde grenzt. Für Firewalls und ähnliches Zeug werden Millionen ausgegeben, doch ich finde immer häufiger billige Zylinderschlösser an entscheidenden Türen, und heutige Tresore sind oft nur noch bessere Blechkästen. Kaum jemand denkt daran, dass auf den Plastikfarbbändern moderner Schreibmaschinen der gesamte Text deutlich ablesbar ist, der damit geschrieben wurde – nur eben in umgekehrter Reihenfolge der Buchstaben. Gerade in den modernsten, am besten vernetzten Büros wird übersehen, was für eine Schwachstelle simples Papier ist. Der Zugangsschutz ins interne Netzwerk mag vom Feinsten sein: Ich brauche bloß Schubladen aufzuziehen und finde Listings, Probeausdrucke, Manuskripte, Notizen, Entwürfe und Konzepte aller Art. Und noch nie wurde in den

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