Der Nobelpreis
wirklich ein Stahlgehäuse, sondern eines aus metallisiertem Plastik, wie es bei Badezimmerarmaturen der billigsten Sorte Verwendung findet. Innen waren sie so gut wie hohl, folglich auch deutlich leichter, weswegen streng darauf geachtet wurde, dass sie nur von Reynolds-»Fachpersonal« installiert wurden. Und falls noch ein Einbrecher in Schweden lebte, der nicht wusste, dass man dieses Gerät mucksmäuschenstill bekam, indem man einfach einen einigermaßen starken Magneten auf halber Höhe anbrachte, konnte es nur ein menschenscheuer Analphabet aus dem Hinterland sein.
Es gab ein leises Knacken im Innern, als ich mein Magnetpad mit Klebeband befestigte und das Magnetfeld die lausigen Teile des Auslösemechanismus miteinander verklemmte. In aller Ruhe konnte ich die Schleife aufziehen und vom Türgriff lösen. Ich bevorzuge, wo es möglich ist, zerstörungsfreies Eindringen, weil es einem viel mehr Möglichkeiten bietet, seine Spuren zu verwischen.
Im Treppenhaus war es kalt, und es roch muffig wie in einem Pharaonengrab. Ich huschte einen Stock höher und ging vor der Nottür ins Stockwerk von Rütlipharm auf die Knie.
Das Alarmgerät war praktischerweise direkt auf das drahtdurchzogene Sicherheitsglas aufgeklebt worden, sodass mein Magnet auch von der Rückseite aus seine segensreiche Wirkung entfalten konnte. Ich presste das Ohr gegen die frostige Glasscheibe, während ich ihn anbrachte, und hörte auch hier das deutliche Klicken des sich verhakenden Auslösemechanismus. Das Schloss zu öffnen war noch eine Angelegenheit von etwa dreißig Sekunden, dann war ich drin.
Stille und der aufregende Geruch eines verlassenen Büros umfingen mich. Unmerkliche Reste kalten Rauchs mischten sich mit den ozonigen Ausdünstungen von Kopiergeräten, dem Duft von Kaffee und ungespültem Geschirr und dem Aroma verbrannten Staubes, das die Lüfter der Computer den ganzen Tag über produziert hatten. Ich machte rasch die Runde durch alle Räume, um sicherzustellen, dass ich wirklich allein war: noch eine Gewohnheit eines misstrauischen Menschen. Ich hatte sie angenommen, nachdem ich einmal in einem Büro unvermutet jemandem gegenübergestanden hatte, der an seinem Schreibtisch eingeschlafen und erst nachts von meinem Rumoren wieder aufgewacht war. Ich hatte ihn niederschlagen und fesseln müssen; etwas, das zu tun ich hasse.
Diese Gefahr drohte hier nicht; ich war tatsächlich alleine. Vielleicht war es nicht so anstrengend, für Rütlipharm zu arbeiten. Ich zog im Durchgehen rasch Mappenschränke auf, überflog die Rückenschilder der Aktenordner in den Regalen und ließ meine Taschenlampe über herumliegende Unterlagen funzeln, einfach aus Gewohnheit und um einen ersten Eindruck zu bekommen. Ich erwartete nicht, eine Akte »Erpressung Nobelkommitee« zu finden oder einen Stadtplan mit einem Kreuz und der Aufschrift »Versteck Kristina Andersson«, und ich fand auch nichts dergleichen.
Schließlich machte ich Ernst und bewegte mich in Richtung Chefbüro.
Das Büro des Chefs ist in jedem Gebäude relativ einfach zu finden: Aus Gründen, die ich nicht verstehe, die aber anscheinend unumstößlich sind, befindet es sich immer in der Ecke eines Stockwerks, und falls mehrere davon zur Verfügung stehen, in der des obersten. Es ist keine Frage der Aussicht, die oft anderswo besser wäre, sondern es muss ein tief verwurzelter Instinkt sein – die Architektur der Macht sozusagen –, die diese Wahl vorgibt. Wie auch immer sich das erklären lässt, mir erleichtert es jedenfalls die Arbeit. Das Chefbüro zu identifizieren, wenn man einmal darin ist, ist natürlich ein Kinderspiel, denn es ist nicht nur größer als die übrigen Büroräume, es ist auch immer deutlich anders ausgestattet, in der Regel aufwändiger.
Das Hause Rütlipharm war keine Ausnahme. Neben der Tür zum Eckbüro prangte der Name Dr. Reto Hungerbühl auf einem auswechselbaren Schild, was ich sehr vorausschauend fand, denn vielleicht würde es tatsächlich bald ausgewechselt werden müssen. Das Büro selbst bot eine unspektakuläre Aussicht über Sveavägen, außerdem einen Perserteppich und eine Polstersitzgruppe in schwedischem Design der gehobenen Preisklasse. Wenn man sich an den großen, aufgeräumten Schreibtisch setzte, hing einem ein grauenhaftes Ölgemälde im Nacken.
Und hinter einer schmalen Schranktür fand sich die Front eines kleinen Panzerschranks.
Panzerschränke öffnen zu können, wenn möglich spurenfrei, gehört auch zu den in meinem Beruf
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