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Der normale Wahnsinn - Roman

Titel: Der normale Wahnsinn - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beaumont
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drückt mich an sich. »Wie gut, dich zu sehen, Mum, ich hab mir solche Sorgen um euch gemacht.«
    »Also um mich musst du dir wirklich keine Sorgen machen. Es ist dein Vater, der krank ist, nicht ich.«
    »Aber du musstest hier ganz allein zurechtkommen.« Sie lässt mich wieder los und sieht mich an. »Schau dich doch nur an, Mum. Du siehst einfach schrecklich mitgenommen aus, total erschöpft, du Ärmste. Die Sorge um Dad muss dich schier krank gemacht haben.«
    Schweigend sehe ich sie an. Was für ein hübsches Mädchen sie doch ist. Weiches blondes Haar und eine makellose Pfirsichhaut. Dazu der schicke schwarze Anzug. Die aufstrebende Managerin strömt ihr aus jeder Pore. Ja, sie ist ganz der Vater. Von mir scheint sie nichts geerbt zu haben. Manchmal sehe ich sie an und kann kaum glauben, dass sie meine Tochter ist. Aber das ist sie. Eine Sechsunddreißig-Stunden-Geburt vergisst man nicht so schnell. Sie war immer Daddys Mädchen, sowohl äußerlich als auch in allen anderen Dingen. Ein gutes Papa-Mädchen, das ist sie. Wer hat mich vor drei Jahren davon überzeugt, ihrem Dad noch mal eine Chance zu geben und die Eheberatung aufzusuchen? Meine Tochter mit ihrem Hundewelpenblick.
    Doch im Moment kann ich sie nicht ansehen, ohne in Tränen auszubrechen. Wieder nimmt sie mich in den Arm und drückt mich. »Alles wird gut, Mum, alles wird gut«, sagt sie mit ihrer süßen, weichen Stimme. »Ich bin ja jetzt da. Alles kommt wieder in Ordnung, glaub mir.«
    Das zu hören macht es nur noch schlimmer. Nichts wird wieder gut werden, nichts wird wieder in Ordnung kommen. Ich kann so einfach nicht mehr weitermachen. Und ich kann hier unmöglich noch länger darauf warten, dass er aufwacht, um mir wieder seine Lügen anzuhören. Und danach seine Entschuldigungen, Beteuerungen und leeren Versprechungen. Nein, ich habe eine Entscheidung getroffen.
    »Ich muss gehen, Lizzy«, sage ich.
    »Kein Problem«, sagt sie. »Ich bleibe hier für den Fall, dass er aufwacht. Geh ruhig und schnapp etwas frische Luft oder hol dir ’nen Kaffee.«
    »Nein, ich meinte, ich fahre wieder nach Hause.«
    »Was redest du denn da?«, sagt sie und entlässt mich wieder aus ihrer Umarmung. »Ich bin doch gerade erst angekommen. Was ist denn los, Mum?«
    Ich kann es ihr unmöglich erzählen, also sage ich: »Du bist jetzt da, und so lange eine von uns hier … Mark braucht jemanden, der ein Auge auf ihn hat. Mache mir schon die größten Vorwürfe, dass er jetzt ganz allein zu Hause ist. Er ist doch erst siebzehn.«
    »Unsinn, Mum, Mark geht’s gut. Also, was ist los? Ist irgendwas vorgefallen?«
    »Das fragst du besser deinen Vater. Frag einfach … deinen Dad«, sage ich und nehme meine Handtasche. »Und richte ihm aus, dass ich sein Gepäck aus dem Hotel abgeholt habe. Seine Aktentasche steht gleich neben dem Bett. Und richte ihm auch aus, dass ich mich an der Rezeption dafür bedankt habe, dass sie so schnell den Notarzt gerufen haben.«
    Ich drehe mich um und gehe.
    »Mum!«
    »Ja, richte ihm das alles bitte aus, Lizzy.«
    Janet : Hab ich das Richtige getan? Nun, noch hab ich’s ja nicht getan, aber ich habe meine Meinung nicht geändert. Ich sitze in der Cafeteria des Krankenhauses und trinke eine Tasse Tee. Für einen Moment hatte ich damit gerechnet, dass Lizzy mir folgen würde, aber dergleichen würde nie passieren. Sie ist ihres Vaters Tochter. Und doch geht’s mir nicht gut bei dem Gedanken, so ganz ohne Erklärung davongelaufen zu sein. Fast ist es, als ob ich auch sie verlassen hätte.
    Aber sie ist kein Baby mehr. Sie ist dreiundzwanzig. Und sie hat ja ihren Vater.
    Ich schlürfe meinen Tee und sehe die Leute in den Krankenhauskiosk strömen. Wieder fällt mein Blick auf das Foto, das auf der ersten Seite dieser Zeitung prangt. Der kalte Blick, mit dem der junge Schwarze mich anstarrt, bringt mich zu einer Entscheidung. Ich bin hier in London nicht willkommen und werde gleich, nachdem ich meinen Tee getrunken habe, wieder nach Hause fahren. Das Packen wird nicht lange dauern, und wenn ich mich beeile, erreiche ich noch den letzten Zug – vorausgesetzt, ich finde den King’s Cross-Bahnhof wieder.
    Ein junges Paar kommt an meinem Tisch vorbei und geht Richtung Ausgang – schwer beladen mit Taschen und einer Babytrage. Und doch ist es, als ob die beiden auf Wolken schweben, dieGlücklichen. Sie haben ein Dezember-Baby bekommen. Ich bin ja schon immer der Meinung gewesen, dass Dezember-Geborene etwas ganz Besonderes sind. Mark

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