Der normale Wahnsinn - Roman
immer gleich wieder raus, aber ich denke, auf ’nen Zwanziger werden die auch nicht spucken.
Christie : Dreijährige sind ja so was von ätzend. Ich hasse sie. Und ich hasse diese Idioten, die mir mitleidige oder gar boshafte Blicke zuwerfen. Hey, das Balg gehört mir nicht, kapiert? Beschwert euch bei den Eltern. Ich arbeite nur für die.
Er schreit immer noch, und jetzt fängt’s auch noch an zu regnen.
»Cameron, was hast du denn?« Ich ziehe das Plastikverdeck über den Buggy. »Sag doch mal, was ist denn los?«
Blöde Frage. Er ist erst drei, das ist los! Mehr braucht er nicht, um völlig durchzudrehen. Sein Gesicht ist puterrot, sein Körper hart wie ein Brett, und dann macht er auch noch diese Geräusche. Diese kleinen Japser und Röchler, die bedeuten, dass er sich jeden Moment verschlucken und seine winzigen Eingeweide auskotzen wird. Inzwischen schüttet es wie aus Eimern. Ich löse Camerons Haltegurt, hole ihn aus dem Buggy und nehme ihn auf den Arm. Er schreit noch immer, doch ich wiege ihn ein bisschen, während ich mit der freien Hand die Pakete von der Reinigung und die Einkaufstüten von Marks & Spencer in den Kinderwagen schmeiße. Ich lege einen Zahn zu und renne zum Auto. Auto ist eigentlich untertrieben, das Ding ist eher ein Panzer, der am Ende des Broadway parkt.
Auf dem Weg hört Cameron zu schreien auf. So schnell, wie er damit angefangen hat, ist es auch wieder vorbei. Jetzt lacht er. Er mag es, wenn ich renne, und plötzlich gluckst er vor Freude. Trotzdem werde ich nass bis auf die Knochen, meine Beine tun weh, und der Buggy droht jeden Moment umzukippen. Dann würden meine Einkäufe und die Sachen aus der Reinigung im Dreck liegen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich so eine Wut auf Cameron habe. Denn eigentlich hasse ich ihn gar nicht. Nicht im Moment jedenfalls, wo er wieder lieb ist.
Aber irgendwie ist der Kleine schon etwas … schwierig. Nett ausgedrückt. Als ich mich für den Job beworben habe, war er nicht so. Nehme an, seine Mutter hatte ihn mit Kinder-Valium ruhiggestellt, bevor ich kam. Und ich vermute, sie hat sich selbst auch ein paar verabreicht, weil sie an diesem Tag ausgesprochen ruhig und entspannt wirkte.
Denn in Wahrheit ist Kate Lister alles andere als entspannt. Gleich am ersten Arbeitstag hab ich auch die Kameras entdeckt.Eine in Camerons Schlafzimmer, eine im Spielzimmer und eine im Wohnzimmer. Die Dinger sehen auf den ersten Blick so aus wie diese Infrarot-Warnmelder von Alarmanlagen. Aber ich bin ein Kindermädchen mit Erfahrung und wusste gleich, was los war. Ich und Cameron waren die Darsteller in Kates ganz privater Reality-TV-Show. Eine falsche Bewegung, und das war’s dann mit dem Job.
Ja, klar, sie hat das bloß gemacht, weil sie nur das Beste für ihren kleinen Jungen wollte. Ich war die Fremde. Hätte meine ausgezeichneten Referenzen ja auch gefälscht haben können. Sie wollte nur sichergehen, dass ich ihn nicht in seinem Bettchen festbinde oder ihn mit verbotenen Süßigkeiten füttere. Und doch ergibt das alles keinen Sinn. Immerhin ist Marco doch den ganzen Tag zu Hause. Könnte er nicht ein Auge auf seinen Sohn haben?
Gerade kommt mir ein Gedanke. Vielleicht hat sie das Überwachungssystem ja installiert, um ihrem Mann nachzuspionieren? Wer weiß. Marco ist schon ein bisschen … merkwürdig. Und das ist noch nett ausgedrückt.
Wie dem auch sei, die Kameras sind inzwischen wieder verschwunden. Hab den Test wohl bestanden. Und so eine Art von Überwachung ist ja auch nicht gerade billig. Kate hätte das System nicht länger als nötig im Einsatz gehalten. Wenn’s um Geld geht, ist sie sehr … vorsichtig. Nett ausgedrückt.
Endlich hab ich den Panzer erreicht. Ein riesiger schwarzer Mercedes ML500 SE. Geländewagen erinnern mich immer an meine Heimat. Endlose Fahrten durch die Wildnis – ursprüngliche Landschaften, tödliche Schlangen, gefährliche Krokodile. Daheim in Australien sind solche Autos ziemlich nützlich und auch ziemlich weit verbreitet. Genau wie in Nordlondon. Allerdings trifft man hier kaum Krokodile an. Aber die Karre ist weiß Gott kein Grund, sich zu beschweren. Ich bin einundzwanzig Jahre und darf einen 50000 Pfund teuren Mercedes fahren, was will man mehr.
Ich setze Cameron in seinen Kindersitz, lade die Einkäufe in den Kofferraum und klappe den Buggy zusammen. Da höre ich sie rufen, und mein Herz sinkt.
»Christie! Christie, warte mal!«
Ich drehe mich um und sehe Tanya, die auf mich zuläuft.
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