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Der normale Wahnsinn - Roman

Titel: Der normale Wahnsinn - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beaumont
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steckt?«, frage ich Siobhan. »Hab sie schon ’ne Weile nicht mehr gesehen.«
    »Sie ist oben und liest Kieran eine Geschichte vor.«
    »Du machst Witze?«
    » Dino-Geflüster . Sein Lieblingsbuch. Vermutlich muss sie ihm die Story deshalb auch mindestens drei Mal vorlesen. Mit allen dazugehörigen Soundeffekten. Darauf besteht er.«
    »Wie hast du sie bloß dazu überreden können?«
    »Hab ich nicht. Das war Kieran. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund scheint er einen Narren an ihr gefressen zu haben.«
    Genau wie ich. So nervig, wie sie ist, weiß ich doch, dass sie nur versucht, mir zu helfen. Und trotz der ganzen Umräumaktionen in meiner Küche und der lähmend langweiligen Spiele- und Kochshows, die ich mir mit ihr im Fernsehen ansehen muss, hat sie heute Nachmittag doch tatsächlich etwas Tiefgründiges zu mir gesagt.
    »Erinnerst du dich noch daran, als dein Vater starb?«, fragte sie mich plötzlich wie aus dem Nichts.
    Als ob ich Dads dreimonatigen Hospizaufenthalt, während dem er zum Skelett abmagerte, je vergessen könnte.
    »Weißt du noch, als es zu Ende ging? Als er einfach nur noch gehen wollte?«, fuhr sie fort. »Er wollte nur noch, dass es aufhört, aber so einfach wurde es ihm nicht gemacht. Wie dem auch sei, in dieser Zeit hab ich oft gedacht, wie hart es doch sein muss, zu sterben. Unser Geist möchte endlich in Frieden gehen, doch unser Körper gibt einfach nicht auf.«
    Ich lehnte mich mit meiner Tasse Tee zurück und fragte mich, ob da noch was kommt oder wo denn die Pointe der Geschichte ist.
    Sie nahm einen Schluck und meinte dann. »Und dann geschah das mit dem armen Paul. Er wollte nicht gehen, nicht war? Und doch wurde er im Bruchteil einer Sekunde aus dem Leben gerissen … Wenn man will, dass es passiert, dann zieht es sich hin. Und wenn man weiterleben will, dann darf man es nicht. Das ist doch nicht fair.«
    Zum ersten Mal mussten wir beide weinen. Natürlich hatten wir in den vergangenen Wochen oft geweint, aber niemals gemeinsam. So nah hatte ich mich ihr seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt, und danach fühlte ich mich sicher genug, um sie etwas zu fragen, was mir schon lange auf der Seele liegt.
    »Was denkst du eigentlich über deine Tochter?«, fragte ich.
    »Was meinst du, Alison? Du bist meine Tochter.«
    Doch sie wusste genau, worauf ich hinauswollte.
    »Ich denke viel an sie, Mum. In den unmöglichsten Momenten kommt sie mir in den Sinn. Und seit Paul nicht mehr da ist, habe ich sogar noch öfter an sie gedacht. Irgendwo da draußen lebt eine Schwester, die ich nicht kenne, Mum.«
    »Ich würde an deiner Stelle nicht so viel darüber nachdenken«, sagte meine Mutter. »Dein Leben ist ohnehin schon traurig genug zurzeit.«
    Dabei hatte ich gar nichts davon gesagt, dass mich der Gedanke an meine Schwester traurig stimmt, oder? Mum hatte das einfach angenommen. Und natürlich stimmte allein die Vorstellung daran sie auch traurig.
    »Wünscht du dir nicht manchmal, Kontakt zu ihr zu haben?«, fragte ich.
    »Ich habe das getan, was für sie das Beste war«, wich sie aus. »Hab ihr die Chance auf ein Leben ermöglicht, das ich ihr nicht bieten konnte. Nicht zu jener Zeit jedenfalls. Oh, sieh mal, es ist gleich Viertel nach vier. Was willst du lieber sehen? Eine Kochshow oder ein Quiz?«
    Thema beendet. Wir zogen um ins Wohnzimmer und sahen dabei zu, wie eine dumme Frau Geschenke öffnete, während ihr verstorbener Ehemann aus einem silbernen Bilderrahmen heraus die Szene belustigt verfolgte.
    »Was ich dich schon länger fragen wollte«, unterbricht Siobhan meine Gedanken. »Geht’s dir jetzt eigentlich besser, seit sie ihn gefunden haben.«
    Sie spricht von dem Mann, der Paul überfahren hat. Er hatsich vor zehn Tagen selbst der Polizei gestellt. Ein Polizist außer Dienst. Die Frau von der Opferbetreuung kam noch am gleichen Tag vorbei, um mir die Nachricht persönlich zu überbringen.
    »Ich meine, kann so was überhaupt ein Trost sein«, fährt Siobhan fort, »oder ist das nur wieder eine meiner blöden Ideen, weshalb ich besser meine dumme Klappe halten sollte?«
    »Nein, das ist ganz und gar keine blöde Idee«, sage ich ihr. »Und nein, eine Art Trost ist es irgendwie auch nicht.«
    Ich war ziemlich sauer, als ich feststellen musste, dass diese Neuigkeit meinen Schmerz keinen Deut milderte. Gut, der böse, rücksichtslose Bulle wird dafür in den Knast wandern, und doch fühle ich mich nach wie vor schuldig. Was waren meine letzten Worte zu Paul? Nicht etwa »Ich

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