Der normale Wahnsinn - Roman
Aussichten und Chancen. Zumindest nicht mehr seit den ersten Behandlungen, nachdem unsere anfängliche Euphorie jedes Mal in Frustration endete.
»Ich weiß, wir wollten nicht mehr darüber sprechen«, fährt er fort, als ob er, wie gewöhnlich, meine Gedanken gelesen hätte. »Aber ich kann mir nicht helfen … ich bin irgendwie … zuversichtlich.«
Das wäre jetzt eigentlich der richtige Zeitpunkt, ihm die Wahrheit zu sagen, oder? Ihm zu sagen, dass ich es aufgegeben habe und dass dies unser letzter Versuch sein wird. Aber er sieht so, ja, zuversichtlich aus, dass ich es nicht übers Herz bringe.
Er greift zu mir herüber und drückt meinen Oberschenkel. Dann hält er sich seine Pommestüte an den Mund und kippt sich den Rest in den Schlund. Als ich sehe, wie die fettigen Krümel auf seinem Hemd und seiner Hose landen und eine ölige, schwer zu übersehene Spur auf den Textilien hinterlassen, verspüre ich den unstillbaren Drang, ihn in diesen Imbiss zu schleppen und seinen Kopf in die Fritteuse zu tauchen. Damit er am eigenen Leibe erfährt, wie viel Schaden heißes Bratfett anrichten kann …
Mein Gott, warum denke ich nur so was? Ich muss wirklich krank im Kopf sein.
Paul lässt den Wagen an und fährt wieder auf die Straße. Als wir am Imbiss vorbeifahren, kommt Michele gerade mit ihrer Freundin heraus. Ich winke ihr zu, aber sie reagiert nicht.
Michele : »Scheiße, sie haben mich gesehen«, sage ich.
»Na und?«, meint Kerry.
»Genau das wollte ich doch nicht …«
Ich schlage den Kragen meiner Jacke hoch, um den geklauten Schal zu verdecken, obwohl es dafür jetzt zu spät ist.
Wir machen uns auf den Weg zurück zu O’Neill’s, wo wir wieder Carlton und Rick treffen werden. Wir kommen am Himmel vorbei. Ich bleibe stehen und sehe mir im Schaufenster die Blumenvasen an. Die hab ich heute Nachmittag ganz allein dekoriert, und ich bin total stolz drauf. Ich glaube, Ali hat das Ganze auch gefallen.
» Himmel . Was für ein idiotischer Name für ein Geschäft«, sagt Kerry.
»Ist es nicht«, sage ich ihr. Was zum Teufel weiß sie denn schon? Sie arbeitet bei Clinton’s Cards.
»Alles ein bisschen tuntig da drinnen, oder?«, sagt sie.
»Nein, sie hat wirklich sehr schöne Sachen.« Wie dieser Schal hier zum Beispiel, könnte ich hinzufügen, tue es aber nicht.
»Also ich weiß nicht … Duftkerzen und so ’n Zeug. Hat nicht viel mit uns zu tun, oder?«
Da hat sie Recht. Das alles hat ganz und gar nichts mit uns zu tun. Aber je länger ich dort arbeite, umso öfter denke ich, dass das alles ’ne Menge mit mir zu tun hat. Aber wenn ich das Kerry gegenüber zugeben würde, würde sie mich für abgehoben halten. »Ist doch nur ein Job, Kerry«, sage ich stattdessen.
»Hat dein Vater mal wieder geschrieben?«, fragt sie.
»Nein, und wenn er mir noch mal schreibt, schmeiße ich den Brief in den Abfalleimer zu den anderen. Soll der Bastard doch im Knast verrotten.«
Ja, mein Vater sitzt. Weil er was richtig Schlimmes getan hat. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Aber ich kann sagen, dass er sich sechzehn Jahre lang so benommen hat, als ob es mich gar nicht gäbe. Aber als er dann einfuhr, bombardierte er mich mit Briefen und solchem Kram. Na ja, eigentlich nur mit Briefen. Mehr Daddy-Getue kann man ja aus dem Knast heraus auch schwer veranstalten.
»Dann wirst du ihn also nicht besuchen?«, fragt Kerry.
»Ach, leck mich«, sage ich.
»Also, ich besuch Darryl eigentlich ganz gern«, sagt sie und grinst mich vielsagend an.
Darryl ist ihr Bruder. Jeder, der mal ein Gefängnis von innen gesehen hat, sagt, dass das ziemlich deprimierend ist. Nicht Kerry. Die takelt sich jedes Mal auf, wenn sie ihren Bruder im Knast besucht. Benimmt sich ein bisschen wie ’ne Nutte in diesem Punkt.
»Du alte Nutte«, sage ich.
»Ja, ich weiß«, meint sie, noch immer grinsend. »Wo wir gerade von Nutten reden. Schade, dass Nikki heute Abend nicht dabei war.«
Ich war heute bei Nikki. Hab ihr das Portemonnaie mit den Federn vorbeigebracht. Ein schlechtes Gewissen hab ich schon deswegen, weil ich Ali nicht erzählt hab, dass ich es genommen habe. Aber das ist schon okay, weil ich das Geld in die Kasse schmuggeln werde, wenn ich am Freitag meinen Lohn kriege.Nach der Sache mit dem Schal hatte ich mir geschworen, so was nie mehr zu machen, und ich kann kaum glauben, dass es schon wieder passiert ist. Ich hab wirklich ’ne Menge Respekt vor Ali. Zu viel Respekt, um es mir auf diese Weise mit ihr zu verderben. Ich
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