Der normale Wahnsinn - Roman
die mich weitermachen lässt.
Ich habe meine Entscheidung Paul noch nicht mitgeteilt. Eigentlich nicht fair, oder? Ist ja schließlich nicht nur meine Entscheidung. Ich sollte mit ihm reden. Ich werde mit ihm reden. Aber nicht jetzt. Im Moment will ich nur eins: »Pommes frites!«
»Wie bitte?«
»Fahr mal links ran. Zum Chippy da drüben.« Ich deute auf das erleuchtete Plexiglasschild vor uns.
»Hast du noch Hunger? Siobhan hat doch nun wirklich mehr als reichlich aufgetischt.«
»Ich weiß, aber ich habe meinen Hauptgang kaum angerührt. Dieser Marco hatte mir irgendwie den Appetit versaut. Und jetzt hab ich einfach Riesenlust auf ’ne Portion Pommes.«
Ja, so wird’s sein. Ich kann mein neues Leben bildlich vor mir sehen. Ein wahrhaft üppiges Leben. Zehntausend Kalorien pro Tag auf dem Weg zu einem buchstäblich umfangreichen Ich. Ja, ich werde meine Kinderlosigkeit dadurch kompensieren, dass ich mich allmählich in das Doppelte, Drei- oder Vierfache meiner Selbst verwandele. Die Fettsucht wird zur neuen Mutterschaft. Meine Speckrollen werden meine Babys sein. Und wie leibliche Kinder werden sie mich nie wieder verlassen.
»Wie du willst«, meint Paul und fährt in eine Parklücke.
»Nie war ich mir einer Sache so sicher … Ich will Tonnen von Salz und literweise Malzessig«, rufe ich ihm nach, als er aus dem Wagen steigt.
Ich bemerke, dass er leicht humpelt. So hart hab ich ihn nun auch wieder nicht getreten, oder?
Michele : »Scheiße, er ist es«, sage ich. »Hab doch gewusst, dass ich den Wagen irgendwoher kenne.«
»Wer? Welchen Wagen?«, fragt Kerry.
»Die Karre da drüben.« Ich zeige die Straße hinauf. Man kann ihn gar nicht übersehen. Das Ding ist so groß wie ’n Lastwagen.
»Ach so, der BMW. Das ist doch der neue X5«, sagt sie. Sie kennt sich aus. Ihrem Bruder haben sie achtzehn Monate wegen Autodiebstahls aufgebrummt.
»Er kommt auf uns zu.«
»Wer?«
»Der Mann von meiner Chefin. Der wird doch nicht Pommes frites kaufen wollen, oder?«
Komisch. Hätte nie gedacht, dass Ali und Paul auf Frittenbudenfraß stehen, aber wie’s aussieht, steuert er direkt auf den Laden zu. Genau wie wir. Im letzten Moment zerre ich Kerry in den Eingang eines anderen Geschäfts.
»Was soll denn das?«, kreischt sie.
»Wir warten hier, bis er wieder im Auto sitzt.«
»Mann, ich bin kurz vorm Verhungern, Chele. Und es ist scheißkalt hier draußen.«
»Ich geh jedenfalls nicht in den Imbiss, solange er drin ist.«
»Warum denn nicht, verdammt noch mal?«
»Ich … kann’s einfach nicht. Okay?«
»Hat er dich etwa angegrabbelt, oder was?«
»Sei nicht albern.«
»Was dann?«
»Nichts. Lass uns einfach hier warten.«
Kerry zuckt die Achseln und zieht ihre Jacke eng um ihren Körper. Blöd. Es ist November, und sie trägt ein bauchfreies Top, einen kurzen Jeansrock und Riemchensandalen. Ihre Beine sind blau gefroren. Ich selbst bin auch nicht gerade mollig warm angezogen. Aber es ist ja auch Samstagabend … Ich sehe, dass Kerry inzwischen richtig sauer auf mich ist. Aber ich kann ihr nicht erzählen, warum ich Ali und Paul nicht übern Weg laufen will. Klingt blöd, aber ich will einfach nicht, dass Ali erfährt, dass ich und meine Freunde hier in der Gegend ausgehen. Ich bin jahrelang samstags hierhergekommen, aber jetzt, wo ich hier arbeite, hab ich das Gefühl, als ob ich … ich weiß nicht … Als ob ich hier eigentlich nicht hergehöre oder so. Blöd, oder?
Okay, das ist es nicht allein. Den Schal um meinen Hals hab ich mir letzten Monat im Himmel ausgeborgt. Ich wollte ihn wieder zurücklegen oder ihn wenigstens bezahlen oder so, aber dann hab ich’s irgendwie vergessen. Die Tage vergingen, und als Ali nicht bemerkt hat, dass er fehlt, erschien es mir irgendwie blöd, ihn wieder zurückzubringen. Ich könnte den Schal ja auch einfach abnehmen, aber dann würde Kerry mich fragen: Hey, warum nimmst du denn den Schal ab? Ist doch arschkalt draußen!
Ich luge um die Ecke des Hauseingangs, um zu schauen, ob Paul wieder aus dem Laden kommt. Leider vergeblich. Mussziemlich voll da drinnen sein. Um diese Zeit ist die Bude immer voller Nachtschwärmer.
»Deine Chefin muss ziemlich viel Kohle verdienen.«
»Was?«
»Wenn sie sich so ein Auto leisten kann, meine ich.« Sie zählt die Münzen in ihrer Hand. »Mist. Carlton hat mir zu wenig Geld mitgegeben. Es fehlen dreißig Pence.«
Wir wollen Pommes frites für Carlton, Rick und auch für uns kaufen. Wir haben die beiden vor ein
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