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Der normale Wahnsinn - Roman

Titel: Der normale Wahnsinn - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beaumont
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erzählen«, erwidert Ali ruhig. »Der Mann ist allein Pauls Fantasie entsprungen.«
    Paul starrt sie an. Offenbar gibt es, was diese Geschichte angeht, eine deutliche Diskrepanz zwischen seiner und ihrer Wahrnehmung.
    »Paul hat doch gar keine Fantasie«, sagt Dom. »Deswegen ist er ja Journalist geworden.«
    Von oben dringt ein Weinen an mein Ohr. Josh.
    »Ich denke, wir sollten langsam aufbrechen«, sagt Ali.
    »Ach, bleibt doch noch auf einen Kaffee«, bitte ich sie.
    »Ist schon gut, Siobhan. Ich denke, du musst dich jetzt ohnehin um Josh kümmern.«
    »So was dauert bei ihm nie länger als zehn Minuten«, meint Dom. »Der Kleine ist von der schnellen Truppe. Wham-bam-danke-Mum. Da schlägt er ganz nach seinem Vater. Bleibt doch noch ein bisschen.«
    »Nein, danke – es war ein fantastischer Abend, Paul.«
    Wie es scheint, kann sie gar nicht schnell genug von hier verschwinden. Und Kate nimmt die Sache zum Anlass, sich ebenfalls zu verabschieden, während sich Marco schweigend erhebt. Ich weiß nicht, ob ich nach Josh sehen oder bis zum bitteren Ende die gute Gastgeberin spielen soll. Also winke ich ihnen freundlich nach, während ich sie zur Tür geleite. In der Diele angekommen, eile ich nach oben, um mich um mein verhungerndes Baby zu kümmern. Und ich frage mich, was zum Teufelda eigentlich gerade passiert ist? Wenn ich mich nicht verguckt habe, dann hatte Paul in Schienbeinhöhe einen kleinen Blutfleck an seiner Hose.
    Ali : Als wir im Auto sitzen, zieht Paul sein Hosenbein hoch und betrachtet die kleine Wunde am Schienbein. Ich trage ziemlich spitze Schuhe heute Abend.
    »Sorry«, sage ich. »Aber ich musste einfach die Notbremse ziehen.«
    »Nein, ich muss mich entschuldigen. Mir war nicht klar, dass das Thema Stalker tabu ist.«
    »Das verstehst du nicht. Er saß nämlich mit uns am Tisch.«
    »Wer?«
    »Der Stalker. Es ist Marco! Er ist der Mann, der immer vor dem Starbucks sitzt.«
    »Verdammt, warum hast du mir denn nichts davon gesagt? Blöde Frage, wann denn auch? Wie um alles in der Welt hast du es nur so ruhig durch den Abend geschafft?«
    Gute Frage. Als er zusammen mit Kate eintraf, mochte ich meinen Augen kaum trauen. Und als mir klar wurde, dass ich nicht unter Halluzinationen leide, wollte ich einfach nur weg. Seltsamerweise habe ich gespürt, dass er noch verwirrter zu sein schien als ich. Nachdem er mich sah, hat er mich den ganzen Abend über nicht einmal angeschaut. Hat es vermieden, überhaupt in meine Richtung zu sehen. Nicht ein Mal haben mich seine hypnotischen Augen fixiert. Und ich kann mich auch nicht erinnern, dass er etwas gesagt hätte. Wahrscheinlich, weil er den ganzen Abend über kein Wort gesprochen hat. Nach einer Weile habe ich mir dann eingeredet, dass ich mir diese ganze Stalker-Sache nur eingebildet habe. Weder ist er von mir noch von Michele oder meinem Laden besessen. Der arme Kerl ist lediglich ein Fan von Latte macchiato oder was auch immer. Vielleicht ist er ja auch ein wetterresistenter Koffeinjunkie. Daran ist nichts Unheimliches, auch wenn’s ’ne ziemlich groteske Vorstellung ist.
    »Komischer Typ«, sagt Paul. »Jetzt verstehe ich, wieso Dom immer seine Serienkiller-Sprüche bemüht, wenn’s um diesen Marco geht. Ich denke aber, dass er genauso erschrocken war wie du, als ihr euch heute Abend bei Siobhan getroffen habt. Ich frage mich, was er wohl gedacht hat?«
    »Das will ich gar nicht wissen«, schnappe ich.
    »Was hältst du denn von dieser Kate?«
    »Ich … wurde irgendwie nicht richtig warm mit ihr.«
    »Hmmm. Ich finde, sie passt gar nicht zu Siobhan. Komische Freundin, die sie da hat.«
    »Können wir nicht mal das Thema wechseln?«
    Paul konzentriert sich auf den Straßenverkehr, und wir verfallen in ein wohl bekanntes Schweigen. Er weiß, wenn meine Stimmung umschlägt, wird alles, was er sagt, nur dazu führen, dass ich das Feuer eröffne. Wahrscheinlich fragt er sich, an was ich gerade denke. An meinen Stalker? An die unsympathische Frau des Stalkers? An Joshs anrührendes Geschrei, als wir Siobhans Haus verließen? Nein, ich denke an nichts dergleichen, ich betreibe mentale Arithmetik. Noch dreizehn Tage. Noch dreizehn Tage bis zur Freiheit. Ja, so sehe ich inzwischen dem Ende dieser IVF-Phase entgegen. Wie eine soeben entlassene Gefangene werde ich das Tor in die Freiheit durchschreiten und ein neues Leben beginnen. Ich bin sicher, ich mache mir da gerade etwas vor, aber ich klammere mich für den Moment an diese Vorstellung. Die einzige,

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