Der normale Wahnsinn - Roman
Dann ist auch er weg. Ich gehe zur Wohnungstür. Der Cop läuft den Hausflur entlang, doch bei dem Tempo, das Carlton an den Tag gelegt hat, muss der schon auf halbem Weg nach Manor House sein. Ich drehe mich um und sehe Carltons Mutter weinen. Die Polizistin steht neben ihr und spricht in ihr Mobiltelefon. In der anderen Hand hält sie eine nagelneue blaue Plastikwäscheleine, die noch genauso aufgerollt ist, wie man sie im Laden kauft. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Hab wirklich gedacht, die hätte Drogen oder so was gefunden.
Michele : Ich stehe am Fenster meines Zimmers im sechsten Stock und schaue runter auf den Polizeiwagen, der vor unserem Haus parkt. Der stand schon da, als ich nach Hause gekommen bin. Was glauben die eigentlich? Dass Carlton so blöd ist, hierherzukommen? Oder dass ich mich irgendwann mit ihm treffe? Selbst wenn ich wüsste, wo er ist, würde ich das nicht machen. Die fahnden sogar mit einem Helikopter nach ihm. So ein Ding mit Suchscheinwerfer. Es ist fast Mitternacht, und wie die Dinge stehen, macht wohl heute Nacht das ganze Wood-Green-Viertelkein Auge mehr zu. So oder so, ich könnte ohnehin nicht schlafen. Mein Gott, Carlton, was in Gottes Namen hast du bloß getan?
Jetzt weine ich. Bin schon einige Male in Tränen ausgebrochen, seit ich hier bin. Hab mich bei Carltons Mutter noch zusammenreißen können, aber jetzt … Nachdem Carlton abgehauen war, trafen jede Menge weitere Polizisten bei Mrs Priestley ein und haben die Wohnung auf den Kopf gestellt. Carltons Mum ist fast ausgeflippt. Der ältere Polizist ist derweil mit mir in die Küche gegangen. Ich denke, er ist derjenige, der den Fall bearbeitet. Hab ihn am Dienstag auch auf dem Revier gesehen. Damals hat er nicht mit mir gesprochen, aber heute Abend hat er mir Löcher in den Bauch gefragt. Wie lange ich Carlton schon kenne, ob er mein Freund ist, wo er den ganzen Nachmittag war, wie lang er Kerry gekannt hat, wie sie sich verstanden haben, und ob die beiden ’ne Beziehung miteinander hatten.
»Beziehung? Was soll das heißen?«, hab ich den Cop gefragt. »Ob die beiden es miteinander getrieben haben, oder was?«
»Wenn Sie es so ausdrücken wollen, ja«, hat er geantwortet.
»Nein, die beiden hatten keine Beziehung «, hab ich ihm gesagt. »Und er hat sie auch nicht umgebracht, hören Sie? Das ist doch einfach verrückt.«
Der Cop hat nichts darauf geantwortet.
»Und außerdem haben Sie doch schon den Typen gefasst, der das gemacht hat, oder nicht?«, hab ich gefragt.
»Zu diesem Zeitpunkt der Untersuchung ermitteln wir noch in alle Richtungen«, hat er gesagt.
»Sie haben ihn wieder laufen lassen, stimmt’s? Der Typ hat Kerry auf dem Gewissen, und Sie lassen ihn wieder auf freien Fuß?«
Auch darauf hat der Cop nichts gesagt.
Also haben sie den Perversen einfach so wieder laufen gelassen. Und das macht mir mehr Angst, als ich sagen kann. Ich schaue wieder runter zu dem Polizeiwagen. Die Tür öffnet sich,und ein Cop steigt aus. Jetzt schaut er zu meinem Fenster rauf. Ich hasse die Polizei, besonders nach dem Vorfall von gestern Abend, aber jetzt, wo dieser kranke Bastard wieder auf freiem Fuß ist, bin ich froh, dass sie da ist.
Keith : Es ist saukalt hier, aber ich schwöre, wenn ich noch länger mit Durham im gleichen Wagen hätte sitzen müssen, hätte ich sie umgebracht. Und wer könnte es mir verdenken? COP TÖTET KOLLEGIN ist jedenfalls ’ne bessere Headline als SCHWARZER WEGEN VERGEWALTIGUNG UND MORD GESUCHT. Und auch weniger abgedroschen.
Ich trete von einem Bein aufs andere und reibe mir die Hände warm. Muss so um die minus fünfzehn Grad sein, aber ins Auto kriegt mich so schnell keiner mehr zurück, das kann ich Ihnen sagen. Über uns kreist wieder der Hubschrauber. Jeder Cop und dessen Onkel scheint auf der Suche nach dem Jungen zu sein. Vielleicht hat er’s getan, vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon? Was man allerdings weiß, ist, wie wir Cops so drauf sind. Wenn’s darum geht, unsere Bürger zu schützen, konzentrieren wir die Suche immer zuerst auf den gefährlich wirkenden schwarzen Motherfucker und nicht auf den freundlichen weißen Yuppie. Das ist kein Rassismus, sondern gesunder Menschenverstand.
Und das ist auch das einzig Tröstliche daran, mit Durham in einem Wagen zu sitzen – ich meine die Tatsache, dass sie den Typen mit dem Stahl-Blick wieder haben laufen lassen. Auf diese Weise hab ich meine Wette mit Rob doch noch gewonnen.
Scheiße, ich friere mir hier noch den
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