Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
hölzerne Wölbung und prüfte die Spannung der Sehne.
»Er ist immer noch so gut wie neu«, bemerkte Tarōs Mutter, die die Waffe in Tarōs Händen mit einem sonderbaren, wehmütigen Gesichtsausdruck betrachtete. »Genau wie er gesagt hat …«
»Wie wer gesagt hat?«
Der wehmütige Ausdruck in den Augen seiner Mutter wich einem harten, starren Blick. »Ach, dein Vater natürlich.«
Tarō balancierte den Bogen auf den Handflächen. Er war wunderschön – geschwungen wie ein Strand, glatt wie Kieselsteine, die von der See geschliffen waren, und so hart wie Walbein. Auf der Innenseite, vor flüchtigeren Blicken verborgen, war ein winziges Zeichen eingeschnitzt: drei Malvenblätter in einem Kreis, auf die Mitte ausgerichtet. Tarōs Vater hatte den Bogen angefertigt, als Tarō noch ein Säugling gewesen war, weil er irgendwie gespürt hatte, dass sein Sohn ihn brauchen würde. Doch als Tarō ihn nach dem Zeichen gefragt hatte – das sich sonst auf keinem der Werkzeuge fand, die sein Vater machte –, hatte er nur mit den Schultern gezuckt. »Mir war einfach danach, Blätter hineinzuschnitzen«, hatte er gesagt.
Tarōs Mutter betrachtete ihn immer noch mit einem seltsamen Blick, als wollte sie ihm etwas Wichtiges mitteilen. Er runzelte die Stirn. »Dieser Bogen …«, sagte er. »Ich habe Vater nie einen anderen Bogen machen sehen. Ich habe ihn überhaupt nie etwas schnitzen sehen. Hat er denn –«
Sie unterbrach ihn mit einer scharfen Geste und drehte sich nach einem plötzlichen Geräusch hinter dem Wandschirm um.
Tarō stand ganz langsam auf. Es hörte sich an, als bewege sich jemand sehr leise in dem Teil der Hütte, wo sein Vater schlief. Als er gerade auf den Raumteiler zugehen wollte, hörte er einen dumpfen Aufprall, als sei jemand zu Boden gestürzt.
Vater.
Tarō ging um den Wandschirm herum und unterdrückte einen Aufschrei. Der Körper seines Vaters lag in einem seltsamen Winkel auf der Schlafmatte …
… und sein abgetrennter Kopf auf dem Boden daneben.
Kapitel 4
Im Halbdunkel wirkte das Blut um Tarōs Vater herum auf dem Boden schwarz.
Dann, als wäre sie aus der Blutlache erwachsen, bewegte eine Gestalt ganz in Schwarz sich schnell auf Tarō zu und zückte eine Klinge, die in der Dunkelheit schimmerte wie ein Fisch, den man im tiefen Wasser sieht. Die Person trug eine schwarze Maske, die nur die Augen freiließ.
Ninja.
Tarō konnte gerade noch den Blick auf den Dolch heften, der sich auf ihn zubewegte, ehe eine andere Klinge aus der Brust des Mannes drang. Der Meuchler hustete und blickte erstaunt auf die Schwertspitze hinab. Blut rann an dem schwarzen Tuch herunter, das sein Gesicht bedeckte.
Er fiel, und als sein Körper zusammensackte, zog ein weiterer Mann in Schwarz, der hinter ihm stand, mit einem befriedigten Knurren die Klinge heraus.
Tarō blinzelte. Dieser Ninja hat gerade den anderen –
In diesem Moment schrie seine Mutter.
Tarō drehte sich um und sah eine dritte schwarz gekleidete Gestalt, die sich hinter seiner Mutter duckte. Der Ninja bewegte kaum merklich den Arm, und ein Messer erschien in seiner Hand. Er wollte Tarōs Mutter die Kehle aufschlitzen.
»N –«, kreischte Tarō, doch sein Schrei wurde von einer Hand erstickt, die aus dem Nichts zu kommen schien und ihm den Mund zuhielt. Die Gestalt neben Tarō stieß ihn zu Boden, zog etwas aus seinem Gewand und warf es nach dem Mann, der hinter Tarōs Mutter kniete. Tarō sah einen schimmernden Stern im maskierten Gesicht des Mannes stecken, und der Ninja fiel lautlos zu Boden. Tarō hatte noch nie zuvor einen Wurfstern gesehen, doch er wusste, dass dies die legendäre Waffe der Ninja sein musste – die Shuriken.
»Wa –«, begann Tarō.
»Sei still«, raunte der Mann in Schwarz neben ihm. »Zunächst einmal: Vertraust du mir?«
»Nein.«
»Gut. Das wäre auch dumm von dir, da du mich nicht kennst. Aber ich fürchte, du wirst es versuchen müssen. Sonst wirst du sterben. Komm her.« Er ging zu Tarōs Mutter hinüber, die ganz still dasaß, mit weit aufgerissenen Augen und starrem Blick.
»Ihr werdet … uns nicht töten«, sagte sie. » Vorhin, als ich hörte, was dieser Händler erzählt hat, dachte ich …« Sie verstummte.
Der Ninja sah sie ausdruckslos an. »Nein, ich werde euch nicht töten. Ich werde gehen und deinen Sohn mitnehmen.«
Sie öffnete den Mund, um zu sprechen, doch der Ninja hielt sie zurück. »Keine Sorge. Ich werde gut auf ihn achtgeben. Ein Freund schickt
Weitere Kostenlose Bücher