Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
verletzt.«
Hirō fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er zog eine Grimasse, und Tarō wusste, dass sein alter Freund Qualen litt. Wenn Hirō seinen Schmerzen so weit erlag, dass er sie sich anmerken ließ, war das ein schlechtes Zeichen. Die linke Wange des Jungen war aufgeschlitzt, und dickes Blut quoll hervor.
»Das heilt wieder«, sagte Hirō.
Tarō nickte. Um die Schnittwunde würden sie sich später kümmern. »Sind sie weg?«, fragte er, an den Ninja gewandt. Der schüttelte den Kopf.
In den Lichtkreis der Fackel trat eine schwarz verhüllte Gestalt mit erhobener Waffe. » Wie ich sehe, bist du zum Verräter geworden«, sagte er zu Tarōs Retter. »Aber jetzt musst du dich ergeben. Und uns den Jungen überlassen. Ihr seid umzingelt.«
Dann geschah etwas, an das Tarō sich später nicht mehr klar erinnern konnte.
Etwas Helles bewegte sich vor ihm, und Licht schimmerte auf einer langen, schmalen Form.
Dann ragte plötzlich das Heft eines Schwertes aus seinem Bauch wie eine groteske Geschwulst. Tarō starrte darauf hinab. Blut sickerte durch sein Gewand, tropfte an seiner Hose hinunter und sammelte sich in den Lücken zwischen seinen Zehen.
»Was …«, begann er.
Und dann traf ihn der Schmerz.
Er krümmte sich nach vorn, japste vergeblich nach Luft und spürte das brennende Metall, das seine Organe durchbohrt hatte und – er wusste es, ohne danach zu tasten – in seinem Rücken wieder hervorgetreten war. Im selben Moment gaben seine Knie nach, und ihm sträubten sich vor Grauen sämtliche Härchen am Körper, als ihm klar wurde, dass womöglich sein Rückgrat durchtrennt war.
Aber ich kann jetzt nicht einfach sterben , dachte er. Ich wollte ein Samurai werden …
Alles verschwamm ihm vor Augen wie hinter einem dichten Regenschleier, und er konnte gerade noch den guten Ninja erkennen, der dem Mann, der Tarō niedergestochen hatte, blitzschnell die Kehle aufschlitzte. Einen Moment lang war er ein rasender, tobender Wirbelwind, und dann entstand ein Moment der Ruhe im Sturm.
Vor ihm wehrte Hirō die Ninja ab, die sich vor dem Angriff des guten Ninja hatten zurückfallen lassen.
Dann packte eine Hand Tarōs Schulter. Der Ninja. »Tarō«, sagte er – aber hatte Tarō ihm seinen Namen überhaupt genannt? Er konnte sich nicht daran erinnern. »Du stirbst. Es gibt nur eine Möglichkeit, dich zu retten. Aber das würde bedeuten, dass du fortan im Verborgenen, in der Dunkelheit leben und dich gemeinsam mit mir versteckt halten müsstest. Vielleicht wirst du deine Mutter nie wiedersehen. Bist du einverstanden? Antworte mir, rasch. Wenn du nicht einwilligst, stirbst du, und deine Mutter ebenfalls.«
Tarō starrte ihn an, unfähig, ihm zu antworten.
»Du wirst gleich hier und jetzt sterben, wenn ich es nicht tue, und deine Mutter auch. Ich frage dich, bist du einverstanden?«
Seine Mutter nie wiedersehen? Nie wieder ihr Lächeln erblicken, das für ihn der aufgehenden Sonne glich?
Doch wenn er nicht einwilligte, würde er sterben, und die Ninja würden auch sie ermorden.
Die Angst um sie vermischte sich mit dem Schmerz in seinem Bauch und jagte Qualen durch seinen ganzen Körper.
»Ich … ich bin einverstanden«, stammelte Tarō.
Der Ninja öffnete mit hochgezogenen Lippen den Mund und enthüllte zwei lange, scharfe Reißzähne. Dann beugte er sich vor und biss tief in Tarōs Hals. Hirō brüllte: »Was tust du da!«, und wandte sich von den Angreifern ab, doch der Ninja stieß ihn mit der freien Hand zurück, richtete sich auf und ließ Tarō los.
Tarō schwankte. Das Herz hämmerte ihm in der Brust. Ihm war schwindlig, und in seinem Kopf drehte sich alles – grelle Lichter blitzten in seinem Gesichtsfeld auf. Er hörte den Ninja drängend zu Hirō sagen: »Wenn du willst, dass dein Freund weiterlebt, bleib zurück und tue gar nichts.« Dann schwamm das Gesicht des Mannes ganz dicht vor Tarōs Augen. »Tarō«, sagte er. »Ich weiß, dass du dich nicht gut fühlst, aber du musst mir jetzt in den Hals beißen.«
Tarō spürte den Drang, ihm zu gehorchen. Immer noch schwankend öffnete er den Mund und beugte sich vor. Der andere Mann führte Tarōs Lippen zu seinem entblößten Hals, der weiß im Mondlicht schimmerte. Tarō biss zu, und warmes Blut füllte seinen Mund, während ein warmer Glanz seinen Geist und seinen Körper erfüllte. Seine Muskeln sangen, und jede Einzelheit seiner Umgebung sprang ihm lebhaft und detailliert ins Auge. Der Schmerz in seinem Bauch wich einem
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