Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Finger.
Immer noch nichts.
Hatte Shūsaku ihn belogen, was das Tageslicht anging? Aber weshalb hätte er das tun sollen? Und der Kleine Kawabata hatte auch geglaubt, das Licht würde Tarō etwas antun. Er hatte es sogar darauf angelegt.
Tarō schloss die Augen und sah das Sonnenlicht rot hinter den Lidern schimmern. Muss ich denn immer anders sein? , dachte er.
Doch dann hörte er hinter sich raschelnde Schritte auf dem Laub, und er drehte sich um und lief weiter, sprang über Felsen hinweg und duckte sich unter tief hängenden Zweigen hindurch. Er blickte zurück. Die Männer holten auf. Plötzlich hatte er einen Ast vor dem Gesicht, und dann lag er auf dem Rücken und schnappte nach Luft. Schmerz flammte in seiner Nase auf, die sich anfühlte wie gebrochen. Er versuchte sich zu bewegen, doch Arme und Beine wollten ihm nicht gehorchen.
Er hörte einen Ruf, ein Zweig knackte unter einem Fuß.
»Ah, da bist du ja«, sagte eine keuchende Stimme. Ein Gesicht trieb verschwommen in Tarōs Blickfeld – einer der Männer, der jüngste seiner Verfolger. Der Mann grinste triumphierend und beugte sich vor, um Tarō am Hals zu packen. Mit der anderen Hand griff er nach dem Geldbeutel, der noch in Tarōs Faust steckte.
Tarō lauschte aufmerksam. Sein Hörsinn war ebenfalls viel besser als früher. Die anderen Männer waren weit zurückgefallen, offensichtlich nicht so an körperliche Anstrengung gewöhnt wie dieser hier.
Er traf eine blitzschnelle Entscheidung und hoffte nur, dass er sich wieder bewegen konnte. Er fing den Arm des Mannes ab, indem er ihn am Handgelenk packte. Er zog kräftig und riss den Mann damit aus dem Gleichgewicht und zu sich herab. Zugleich rollte er sich beiseite und ließ den Mann mit dem Gesicht voran auf den Boden schlagen, wo er eben noch nach Luft gerungen hatte.
Tarō drehte seinem Verfolger den Arm auf den Rücken, rollte wieder zurück und stieß sich mit den Füßen ab, so dass sein Körper sich in der Luft drehte und er mit den Knien auf dem Rücken des Mannes landete. »Es tut mir leid«, sagte Tarō. Dann beugte er sich vor und grub die Zähne in den Nacken des Mannes. Er hoffte nur, dass er würde aufhören können, ehe er ihn umbrachte.
Mit dem frischen Blut in seinen Adern rannte Tarō leichtfüßig durch den Wald und auf einem großen Umweg zurück zu dem Reisspeicher.
Er hörte ferne Schreie hinter sich im Wald, wo die übrigen Verfolger ihren Gefährten gefunden hatten. Tarō war fast sicher, dass der Mann überleben würde – er hatte nicht allzu lange getrunken. Doch er hoffte, dass die Männer jetzt von dem Reisspeicher wegbleiben würden. Soweit sie wussten, war der Dieb davongekommen und auf der Flucht.
Bald erreichte er die Hütte, huschte hinein und schloss die Tür hinter sich. Er wollte nicht, dass noch jemand die offene Tür bemerkte und nachsehen kam.
Kapitel 45
»Du kannst also ins Tageslicht hinausgehen, obwohl du ein Vampir bist?«
Tarō nickte. »Anscheinend.«
»Und das bedeutet, wenn der Kleine Kawabata zurückkommt, wirst du ihn erwarten.«
Jetzt grinste Tarō. »Oh ja. Ich habe da schon eine Idee.«
Heikō postierte sich nach Tarōs Anweisungen direkt vor der Tür in dem Schuppen, während Tarō nach draußen schlüpfte. Er hatte ihr genau erklärt, was sie tun sollte.
Tarō verriegelte das Schloss von außen und schob den Schlüssel dann unter die Tür, so dass er für jemanden draußen nur halb zu sehen war. Tarō ging von einer Vermutung aus: Der Kleine Kawabata hatte keinen Dietrich wie Heikōs und erwartete wohl, dass er das Schloss würde knacken oder aufbrechen müssen. Wenn er Heikōs Schlüssel unter der Tür liegen sah, würde er wahrscheinlich versuchen, ihn aufzuheben, um sich die Arbeit zu erleichtern.
Tarō hoffte, dass Heikō gut aufpassen würde. Ihre Aufgabe war es, den Schlüssel im Auge zu behalten, der zum Großteil auf ihrer Seite der Tür lag. Die Lücke zwischen der Tür und dem Boden war gerade so breit, dass der Kleine Kawabata die Hand hineinschieben konnte. Sobald seine Hand erschien, sollte Heikō sie packen. Der Rest dürfte dann ganz einfach sein.
Tarō setzte sich auf das Dach des Reisspeichers und wartete. Obwohl er im vollen Tageslicht saß, war er vom Boden aus nicht zu sehen. Hoffte er zumindest. Die Sonne stand nun hoch am Himmel und erleuchtete die Hänge um das Tal mit hartem, grellem Licht. Doch es konnte Tarō offenbar nichts anhaben, und er begriff nicht, warum. Er hatte gesehen, dass Shūsaku am
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