Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Wir müssen uns beeilen. Ich sehe dir an, dass du dich davor fürchtest, ihr gegenüberzutreten, aber du verdienst ein paar Antworten, findest du nicht?«
Das gab den Ausschlag. Ja, er hatte Antworten verdient. Und diese Fragen zu stellen war kein Verrat am Andenken seines Vaters und seiner Mutter, an der Liebe, die sie ihm gezeigt hatten. Hier ging es um seine Herkunft. Nicht um Liebe.
Er wandte sich der Tür zu. Sie war schwer und von außen mit einem Fallriegelschloss versehen. Er nahm den Beutel von seiner Schulter und kramte darin herum. Hatte er ihn noch? Ja! Da war der Schlüssel, den Heikō benutzt hatte, um den Reisspeicher aufzuschließen. Er küsste ihn einmal, weil das Glück brachte. Wie standen schon die Chancen, dass ein Schmied hier, mitten in Daimyō Odas Herrschaftsgebiet, den gleichen Schlüssel benutzte wie einer, der in der Nähe des Vulkans arbeitete?
Hana sah mit großen Augen zu, wie Tarō den Schlüssel in den Zylinder schob. Geistesabwesend streichelte sie den Sperber auf ihrem Handgelenk.
Tarō drückte den Schlüssel nach oben.
Ein Klicken war zu hören, und der Zylinder glitt heraus.
Kapitel 71
Yukiko stieg die Stufen zu Daimyō Odas privatem Audienzzimmer hinauf. Ein Samurai schob sie vor sich her und hielt die Schwertspitze in ihr Kreuz gedrückt.
Sie betrat den Raum. Kühle, scharf umrissene Schatten kreuzten sich auf dem glatten Holzboden wie Schwerter.
Der Duft von O-cha – grünem Tee – stieg aus einem lackierten Gefäß auf einer silbernen Platte auf. Daimyō Oda Nobunaga schenkte sich eben einen Becher ein – er war mit Kranichen und Mönchen in schwarzer Tinte verziert –, ohne auch nur aufzublicken, hob den Becher an und sog tief die Luft ein. Wenn der Fürst so entspannt blieb, dass er sie nicht einmal anschaute, dann mussten noch mehr Waffen auf sie gerichtet sein als das Schwert, das sie im Rücken kitzelte, vermutete Yukiko. Wahrscheinlich zielten gleich mehrere Pfeile auf ihr Herz – es gab Nischen in den Wänden, in denen Bogenschützen nur auf den geringsten Wink des Daimyō warteten …
Sie bemühte sich, den Blick gesenkt zu halten.
Doch sie bemerkte, dass Oda mit der linken Hand den Tee einschenkte und den Becher hob. Seine rechte Hand hing im Schatten, und der Arm darüber sah dünn und verkümmert aus.
»Ich bin mitten in meiner Teezeremonie, wie du siehst«, sagte er. Er war ein muskulöser Mann, der nicht auf einem Thron saß, wie Yukiko angenommen hatte, sondern auf einem schlichten Kissen auf dem Boden. »Du hast also hoffentlich einen dringenden Grund dafür, mich zu stören.«
Yukiko lächelte. Zumindest dessen war sie sich sicher.
»Tarō ist hier.«
Daimyō Oda sprang auf und verschüttete den Tee über seinen Kimono. Er schien es gar nicht zu bemerken. Er eilte durch den langen Raum auf sie zu.
»Wo?«
Yukiko reckte den zierlichen Zeigefinger in die Luft. »Nein. Zuerst tut Ihr etwas für mich.«
Fürst Oda hielt inne und zog sein Katana aus der Scheide auf seinem Rücken. Er führte es mit der linken Hand, was Yukiko noch nie gesehen hatte.
Dies war ein Respekt einflößender Mann. Sie würde vorsichtig sein müssen.
»Ihr gebt mir Kira, dann gebe ich Euch Tarō«, sagte sie. »Kira hat meine Schwester getötet. Dafür will ich mich an ihm rächen.«
Fürst Oda ging auf sie zu und zeichnete mit der Schwertspitze kleine Spiralen in die Luft. »Du bist dir deiner Sache sehr sicher«, sagte er. »Was, wenn ich dir Tarōs Aufenthaltsort durch die Folter abpresse und dich dann töte?«
Yukiko holte tief Luft. »Nun«, sagte sie, »dann wäre ich sehr zornig.«
Fürst Oda lachte vor Überraschung laut auf.
»Und«, fuhr Yukiko fort, »mein Zorn ist schrecklich. Seht Euch nur an, was ich Tarō antue, weil er mich betrogen hat. Wenn Ihr mich tötet, käme ich vielleicht als Geist zurück, um es Euch heimzuzahlen.«
Fürst Odas Augen funkelten vor Belustigung. »Ich mag dich«, sagte er. Dann wandte er sich dem Samurai zu, der sie hereingeführt hatte. »Geh. Nimm die anderen Wachen mit. Tarō gehört mir.« Er drehte sich wieder zu Yukiko um. »Kiras Leben gehört dir, tu mit ihm, was dir beliebt. Und dein Leben gehört jetzt mir. Hast du verstanden? Du wirst weiterleben, aber du wirst leiden. Wie könnte ich mir ansonsten deiner Loyalität sicher sein?«
Yukiko verneigte sich. »Ich erwarte Leiden. Das liegt in der Natur der Rache.«
Kapitel 72
Tarō wich entsetzt zurück. Der Gestank in dem Zimmer war grauenhaft.
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