Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Sonne getrocknet war.
»Ich werde Euch nicht töten, falls Ihr das damit meint«, sagte er. »Ich soll Euch töten, glaube ich … aber ich werde es nicht tun.«
»Du … hast hier meinen Vater erwartet?«, fragte das Mädchen.
»Ja. Und Euch habe ich ganz sicher nicht erwartet.«
»Wie meinst du das?«
Tarō nahm seine Maske ab, und Hana schnappte nach Luft. »Du! Der Junge aus dem Wald!«
Tarō streckte die Hand aus und zeigte ihr den Ring, den sie ihm zum Dank für ihre Rettung geschenkt hatte und den er noch immer am kleinen Finger trug. Es erschien ihm passend, dass sie sich auf diese Weise wiedersahen, als wäre auch hier das Schicksal am Werk. Er wusste noch, dass sie ihnen nicht hatte sagen wollen, wer sie war – dass sie von einer hohen Belohnung gesprochen hatte und davon, dass sie ihrem Vater nichts von ihrem nächtlichen Ausflug erzählen konnte.
Kein Wunder, wenn sie Daimyō Odas Tochter war.
Tarō drehte sich der Kopf. Sie waren Oda so nahe gewesen, als sie vor vielen Wochen diese Rōnin im Wald getötet hatten! Sie hatten seine Tochter gerettet! Er hatte das Gefühl, in einem riesigen und komplizierten Theaterstück mitzuspielen, in dem nichts bloßer Zufall war. Ganz kurz kam ihm sogar der beschämende Gedanke, dass sie das Mädchen als Geisel hätten nehmen können, wenn sie damals gewusst hätten, wer sie war.
Aber nein. Er würde nicht wie Fürst Oda werden, um ebendiesen töten zu können. Er würde Menschen nicht wie bloße Spielfiguren danach bewerten, ob sie seinen Zielen nützlich waren.
Und außerdem hegte er in einem zynischeren, primitiveren Teil seines Geistes den Verdacht, dass Daimyō Oda eher den Tod seiner Tochter in Kauf genommen hätte, als sich mit ihr als Druckmittel erpressen zu lassen. Sie als Geisel zu nehmen hätte nichts gebracht.
All das schoss ihm binnen eines Augenblicks durch den Kopf, und dann traf er seine Entscheidung. Er verneigte sich. »Tarō, zu Euren Diensten.«
Kapitel 69
Yukiko starrte Tarō und Daimyō Odas Tochter an. Sie verstand überhaupt nicht, was hier vorging. Anscheinend kannten sich die beiden, und doch sprachen sie miteinander wie Fremde. Was war die Wahrheit und was Verstellung?
Sie hätte es nicht sagen können.
Aber eines wusste sie. Seit ihre Schwester gestorben war, um Tarō zu schützen, fühlte sie sich wie ein Samurai in voller Rüstung – in kaltes Metall gehüllt, so dass von dem menschlichen Wesen dahinter nichts zu erkennen war.
Zumindest, bis Tarō Shūsaku hatte sterben lassen. Da hatte sie den ersten zornigen Funken gespürt.
Jetzt loderte ihre Wut immer höher und fraß sich rasch durch Yukikos ausgetrocknete Seele.
Heikō war für Tarō gestorben, und da stand er nun vor der Tochter ihres ärgsten Feindes und stammelte wie in einer Liebesgeschichte. Dabei sollte es hier doch um Rache und Blut gehen.
Sie stupste Tarō mit der Schwertspitze an, und er drehte sich stirnrunzelnd zu ihr um. » Von welchem Wald redest du denn?«, fragte sie. »Und was trägst du da am Finger?«
Er streckte ihr die Hand hin. »Das ist ihr Ring«, sagte er. »Sie hat ihn mir geschenkt.«
Yukiko hatte das Gefühl, dass sich der Boden unter ihr auftat. »Daimyō Odas Tochter hat dir einen Ring geschenkt?«
»Ja. Ich meine, das wusste ich damals nicht, aber …« Er unterbrach seinen Wortschwall. Yukiko verstand nicht, was hier vorging, aber eines war ihr vollkommen klar: Tarō war ein Lügner und Verräter und ganz gewiss nicht der Bauer, für den ihn jedermann – selbst Shūsaku! – gehalten hatte. Hier stand er, schaute der Tochter des Fürsten Oda tief in die Augen und trug ihren Ring. Yukiko wusste nur noch eines, nämlich dass nichts so gewesen war, wie es den Anschein gehabt hatte. »Wir haben ihr das Leben gerettet«, sagte er nun. »In den Bergen. Na ja, Shūsaku vor allem.«
»Sei nicht so bescheiden«, sagte Daimyō Odas Tochter. »Dein Geschick mit dem Bogen war außergewöhnlich.«
Yukiko starrte ihn an. »Du hast ihr das Leben gerettet?«, fragte sie ungläubig. »Sie ist die Tochter deines Feindes.«
Heikō hat ihr Leben für ihn hingegeben, weil sie dachte, er verdiente es, Shōgun zu werden. Sie ist erst seit zwei Tagen tot, und er steht hier vor Daimyō Odas Tochter, der Brut seines ärgsten Feindes, und stammelt wie ein verliebter Idiot!
Dann traf der schrecklichste Gedanke von allen Yukiko mit voller Wucht, wie ein Schlag mit dem Bokken gegen den Kopf. Er war ihr schon flüchtig durch den Kopf
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