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Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)

Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)

Titel: Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Lake
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was immer ihm beliebt. Außerdem dauert es ja nur einen Augenblick. Der Gesandte, über den wir informiert wurden, ist ein erwachsener Mann. Der Verbrecher, den wir suchen, ist noch zu jung, um sich zu rasieren. Ich denke, dass selbst Männer unserer Klasse den Unterschied erkennen werden.« Er legte dem vermeintlichen Diener gegenüber eine besondere Betonung auf die Worte »unserer Klasse«, und Tarō konnte die Anspannung und drohende Gewalt spüren, die in der Luft lagen.
    Tarō bemühte sich, sein rasendes Herz zu beruhigen. Sie werden in die Sänfte schauen , dachte er. Und dann sind wir erledigt.
    Shūsaku seufzte und wies dann mit einem Nicken hinter sich auf die Sänfte. »Also gut. Aber bitte haltet uns nicht zu lange auf.«
    Wie bitte? Tarō rutschte auf dem Sitz so weit wie möglich nach hinten, als könnte er mit dem Stoff verschmelzen.
    Der Samurai gab seinem Gefährten einen Wink. Dieser zweite Mann  – seine Züge waren derber, was auf einen niedereren Rang hindeutete  – trat vor die Tür der Sänfte, die mit einem Vorhang bedeckt war. Da Tarō nicht wusste, was er sonst tun könnte, schob er die Schriftrolle durch den Vorhang nach draußen in der Hoffnung, dass der Mann die Siegel sehen und sich damit zufriedengeben würde.
    Es hätte beinahe geklappt.
    Die Schriftrolle wurde Tarō aus den Fingern gezogen und gleich darauf wieder in die Hand gedrückt. Er gestattete sich einen Augenblick der Hoffnung, doch dann bewegte sich der Vorhang, teilte sich mit einem Ruck, und –
    »Ausgleichen, Hirō!«, sagte Shūsaku. Das war das Signal, das sie vereinbart hatten.
    Wie ausgemacht ließ Hirō sein Ende der Sänfte fallen. Tarō wurde nach hinten geschleudert, knallte mit dem Kopf gegen die hölzerne Wand und fluchte. Der Samurai stieß einen überraschten Ruf aus.
    Tarō hörte den Mann zu Hirō treten. »Was ist denn, Mann?«, fragte er barsch. Es folgte eine kurze Pause. »Was starrst du da so an?« Dann ein angewiderter Aufschrei. »Ihr Götter, das ist ein Finger! Was zum …?«
    »He«, rief der höherrangige Samurai. »Was geht da vor?«
    Tarō hörte Shūsaku mit besänftigender Stimme erklären: »Es ist alles in Ordnung, verehrter Wächter. Mein Freund hier ist leprakrank, weiter nichts. Ich dachte, sein Zustand hätte sich gebessert, aber … Nun, Ihr seht ja, dass sein Gesicht verhüllt ist. Ein grauenvoller Anblick, wenn er dieses Tuch abnimmt. Hirō«, fuhr er fort, und sein Tonfall wechselte von besänftigendem Schmeicheln zu mildem Tadel. »Bitte heb deinen Finger auf, und entschuldige dich bei den Samurai dafür, dass du sie erschreckt hast.«
    Der höherrangige Mann schnaubte vor Abscheu. »Ein Aussätziger? Und einen solchen Mann ziehst du dazu heran, einen hohen Beamten zu tragen?«
    »Der Gesandte«, entgegnete Shūsaku, »legt großen Wert auf Mildtätigkeit.«
    Tarō presste das Gesicht wieder an die Sehschlitze und sah die Samurai zurücktreten, voller Angst davor, sich anzustecken.
    Der höherrangige machte eine gereizte Geste. »Fort mit euch«, sagte er barsch. »Ich will nicht, dass ihr weitere Körperteile auf meiner Brücke hinterlasst.«
    Tarō spürte, wie die Rückseite der Sänfte wieder hochgehoben wurde, und dann ging es erneut vorwärts. Er spähte durch die Schlitze. Sie marschierten zwischen Reisfeldern hindurch, über denen Bauernhütten auf Stelzen aufragten. Es nahte das alljährliche Obon-Fest, zu dem die Geister der Verstorbenen auf Erden wandelten, und an vielen Hütten hingen bereits blaue Laternen, die in der Brise hin und her schwangen.
    Zu dieser Jahreszeit konnten die Geister eine Woche lang die unteren Reiche des Samsara verlassen, die man unter dem Begriff Anoyo zusammenfasste  – etwa die Region der Hungrigen Geister oder sonst einen Kreis der Hölle. Nur diese eine Woche konnten sie zu ihren Familien zurückkehren, und die Obon-Lichter sollten ihnen den Weg weisen. Dann konnten sie sich an den Reisopfern laben, die ihnen dargebracht wurden, ihren Hunger für kurze Zeit stillen und dank der Gebete ihrer Familie vielleicht in einem zukünftigen Leben der Erleuchtung wieder näher kommen.
    »Wir müssen irgendwo Schutz suchen«, sagte Shūsaku und drehte sich zwischen den vorderen Stangen der Sänfte um. »Durch unseren Hinterhalt haben wir viel Zeit verloren.«
    »Ist gut«, erwiderte Tarō. Die ersten Sonnenstrahlen breiteten sich bereits über den Gipfeln der nun näher gerückten Berge aus, als wären sie in Gold getaucht.
    »Hast du

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