Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
streckte Itō die linke Hand hin, und einen Moment lang stand der Waffenschmied nur mit offenem Mund da und starrte auf den verschrumpelten rechten Arm des Fürsten, der schlaff an dessen Seite herabhing. Die Gerüchte stimmten also: Daimyō Oda war tatsächlich verkrüppelt. Man erzählte sich, in der glorreichen Schlacht gegen Imagawas viel größere Streitmacht sei seine Schulter von einem Schwert durchbohrt worden. Die Klinge hatte angeblich Sehnen und Nerven durchtrennt, so dass der verletzte Arm dünner sei als der andere und Nobunaga ihn nicht gebrauchen konnte.
Jemand hatte Itō erzählt, es sei eine Frau gewesen, die den Daimyō Oda so schwer verletzt hatte – eine Ninja obendrein. Doch er versuchte, das nicht einmal zu denken , so ungeheuerlich ruchlos war die Andeutung, eine bloße Frau könnte dem großen Daimyō eine solche Wunde zufügen. Schon jetzt hatte er sich halb eingeredet, dass er diese Behauptung nur geträumt hätte.
Außerdem hieß es – und daran erinnerte Itō sich genau –, dass der Leibarzt des Fürsten mit den Vorbereitungen für eine Amputation begonnen habe, während Nobunaga selbst noch bewusstlos gewesen sei. Als der bedauernswerte Arzt den ersten Schnitt an dem verwundeten Arm führte, wachte Daimyō Oda plötzlich auf und bekam einen seiner legendären Zornesausbrüche. Er griff nach seinem Schwert, mit dem er in so vielen Duellen zahlreiche Schwertmeister getötet und damit den Titel des Schwertheiligen gewonnen hatte, und hackte seinem Leibarzt sämtliche Glieder ab, bis nur noch Kopf und Oberkörper übrig waren. Dann brannte er die Wunden mit einem Scheit aus dem Feuer aus und befahl seinen Dienern, den Arzt zur Burg zurückzubringen, ihn dort hinter einem Vorhang auf einen Stuhl zu setzen und ihm zu essen und zu trinken zu bringen, wenn er etwas verlangte. Auf diese Weise, erklärte Nobunaga, würde er den perfekten Arzt haben: einen, der Ratschläge erteilen, aber nicht eigenmächtig handeln konnte. Denn das war ein Vorrecht seiner Klasse, der Samurai, während andere nur auf den ausdrücklichen Befehl ihres Fürsten hin zu handeln hatten.
Danach zog Daimyō Oda sich von allem zurück und tat nur noch das Notwendigste, wie essen, schlafen und Informanten foltern. Ansonsten verbrachte er jede wache Stunde damit, seinen linken Arm zu trainieren, damit er so stark wurde, wie der rechte gewesen war. Nach einem Monat forderte der große Schwertfechter Musashi den Daimyō Oda heraus, weil er den Zeitpunkt für gekommen hielt, den größten aller Schwertheiligen zu bezwingen. Oda entwaffnete ihn und demütigte ihn dann zutiefst, indem er ihm befahl, am Leben zu bleiben, und ihm die Ehre des Selbstmords verweigerte.
Der Schwertheilige hatte etwas Neues entdeckt: Nobunagas linker Arm mochte schwächer sein, doch er war schneller.
Fürst Oda hüstelte, und Itō hob erschrocken den Blick von dem verkrüppelten Arm zum Gesicht des Daimyō. Oda Nobunaga funkelte ihn zornig an und streckte erneut die Hand aus, und Itō begriff, dass er ihm die Waffe überreichen sollte. Er wickelte die weichen, geölten Stoffbahnen ab und gab dem Daimyō das Schwert.
»Ein Schwert des Blutes oder ein Schwert des Friedens?«, fragte Daimyō Oda. »Sollte ich mir einen Fluss suchen, in dem ich es prüfen kann?«
Itō überlegte, wie er antworten sollte. Er war bei dem großen Schwertschmiedemeister Muramasa in die Lehre gegangen, der dafür bekannt war, blutrünstige Klingen zu fertigen. Doch Muramasa wiederum hatte bei Masamune gelernt, der berühmt für seine sanftmütigen Waffen war. Man erzählte sich, dass Muramasa eines Tages zu kühn wurde und behauptete, ebenso gut zu sein wie sein Lehrmeister. Also führte Masamune ihn zu einem Flüsschen in den Bergen, in einem Wald aus mächtigen Tannen. Er senkte sein bestes Schwert, Yawakara-Te oder Sanfte Hände genannt, ins Wasser und forderte Muramasa auf, mit seiner eigenen Klinge, Jūchi Fyu oder Zehntausend Winter, das Gleiche zu tun. Das Schwert des Schülers durchschnitt alles, was darauf zuschwamm. Fische, Blätter und Zweige wurden durchtrennt und zerteilt. Doch Sanfte Hände zerschnitt nichts – ja, die Blätter und Fische glitten einfach unversehrt darum herum. Selbst die Luft zischte, wenn sie sacht an der Klinge vorüberstrich.
Nach einer Weile begann Muramasa seinen Meister zu verhöhnen: Einer, dessen Schwerter nichts zerteilten, nicht einmal die Luft, konnte wohl kaum behaupten, ein großer Schwertschmied zu sein. Doch in
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