Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
und das tat sie auch. Die alte Frau blickte mit angstvoll aufgerissenen Augen zu ihm auf. Wieder bemerkte er, wie schön sie trotz ihres Alters war, und er wünschte beinahe, er müsste sie nicht töten.
Beinahe.
Er lutschte an dem kühlen, harten Kiesel an seiner Wange, den er sich in den Mund gesteckt hatte, ehe er hier hereingekommen war, und bemühte sich, nicht das Zeug anzuschauen, das nun auf den Tatami-Matten zu ihren Füßen verstreut lag. Denn natürlich hatte er diese Schale nicht nur zerschlagen, um die Alte einzuschüchtern. Es war außerdem eine Notwendigkeit gewesen, den rohen Fisch vom Tisch zu entfernen, damit er ihn nicht mehr sehen musste.
Dennoch ertappte Kira sich dabei, wie sein Blick zu dem widerlichen Zeug huschte, das glitschig glänzend auf dem Boden lag. Eine weitere Schale stand noch auf dem Tisch, doch sie war leer, und obwohl das Fett von dem Fleisch noch darin klebte, konnte er sie gerade so ertragen.
»Du hast Essen auf dem Tisch«, sagte er und versuchte, sich zu sammeln. »Doch du lebst von Blut, nicht wahr?« Er stupste die leere Schale mit dem Finger an. » Wer hat also mit dir gegessen, als wir kamen?«
»Ich stehe unter Daimyō Odas Schutz«, entgegnete die Frau.
»Jetzt nicht mehr«, sagte Kira. »Du hast seinen Feinden Unterschlupf gewährt. Ich bin ermächtigt, mit dir zu verfahren, wie ich es für richtig halte.« Die Frau zitterte. Das gefiel ihm.
»Die Schüsseln sind für die Geister«, sagte die Frau. »Ich bin eine Prophetin. Ich muss ihnen Speisen opfern.«
Kira seufzte. Das könnte stimmen. Immerhin war sonst niemand hier, und es war kaum vorstellbar, dass sich in einem so kleinen Haus irgendjemand vor seinen Männern versteckt halten könnte. Er musste endlich diesen Fisch aus seinen Gedanken verbannen. Er gab einem seiner Samurai einen Wink, und der Mann trat hinter die alte Frau und hielt ihr das Katana an den Hals. »Ich weiß über deinesgleichen Bescheid«, fuhr er fort. »Man kann euch nur töten, indem man euch den Kopf abschlägt oder eine Klinge direkt ins Herz stößt. Glaub ja nicht, ich würde dich verschonen, wenn du mir nicht sagst, was ich wissen will.«
»Und was wäre das?«
»Ich will wissen, wohin der Junge gegangen ist. Und der Ninja, der mit ihm reist, und sein dicker Freund.« Er hatte ein ungutes Gefühl, was diesen Ninja anging, als drohten die Ereignisse seiner Kontrolle zu entgleiten. Er hatte einige der Ninja verhört, die den Jungen in Shirahama angegriffen hatten – die Umstände dieser Verhöre waren der augenblicklichen Situation sehr ähnlich gewesen, dieselbe Samurai-Klinge an den Hälsen der erbärmlichen Ninja, die versagt und den Auftrag des Daimyō Oda nicht erfüllt hatten. Diese Ninja hatten von zwei Dingen gesprochen, die Kira nervös machten.
Der Junge war verwandelt worden, und das Schwert des Ninja, der das getan hatte, war mit dem Mon des Hauses Tokugawa geschmückt.
»Es war niemand hier, auf den eure Beschreibung passt«, behauptete die Frau.
»Doch, sie waren hier. Man hat sie gesehen, als sie durch die Tür in der Mauer deinen Garten betreten haben.«
»Dann sind sie vielleicht eingebrochen, um Proviant zu stehlen.«
Kira war sogar sicher, dass sie Proviant mitgenommen hatten, aber vermutlich hatte die Frau ihnen die Sachen bereitwillig gegeben. »Was ist mit den Mädchen?«, fragte er. »Wir wissen, dass zwei Mädchen bei dir leben.«
Die Frau zuckte zusammen, und Kira lächelte in sich hinein.
»Sie … spielen … draußen im Wald«, sagte sie.
»Dann werden wir hier auf sie warten«, erklärte Kira. »Es wird mir ein Vergnügen sein, sie kennen zu lernen.«
»Nein … bitte …«
Kiras heimliches Lächeln wurde zu einem innerlichen Grinsen, doch seine Miene blieb ungerührt. Gut. Er würde diese Frau sehr schnell brechen, wenn erst die Mädchen zurück waren. Wenn er nur nicht so hungrig wäre. Am Rande seines Gesichtsfelds wurde ihm schon schwarz vor Augen, und er holte tief Luft und stützte sich an der Wand ab.
»Geht es Euch nicht gut?«, fragte die Frau. »Ihr seid sehr blass.«
Kira verzog das Gesicht. Er hasste es, vor seinen Männern Schwäche zu zeigen, doch er hatte Mühe gehabt, in dieser Gegend Gemüse zu finden. So viele Bauernhütten und Felder waren verlassen, seit die Kriege vor Jahren diese Gegend verwüstet hatten. Er hatte am Morgen etwas Reis gegessen, doch er war fast am Ende seiner Kräfte. Er blinzelte und nickte dann dem Mann zu, der sein Schwert an den Hals der
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