Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Schiebetür heran und konzentrierte sich darauf, ja kein Geräusch zu machen.
Die Äbtissin sprach. »… nun, da Tokugawa seine Absicht mit einem Mordanschlag zu erkennen –«
Shūsaku schnappte vernehmlich nach Luft, unterbrach die Äbtissin und ließ Tarō zurückweichen – er glaubte sich ertappt, und so entgingen ihm die nächsten Worte des Ninja. Doch es stand fest, dass die Worte der Äbtissin Shūsaku schockiert hatten.
Tarō drückte das Ohr wieder an die Tür. »… lange warst du bei diesen Ninja?«, hörte er die Äbtissin fragen.
»Nur einen Monat«, antwortete Shūsaku.
»Aha. Dann muss es nach deiner Abreise geschehen sein.«
Shūsaku pfiff leise durch die Zähne. »Tokugawa hat versucht, Oda ermorden zu lassen? Was ist mit ihrem Bündnis, an das das Volk unbedingt glauben soll?«
Tarō unterdrückte ein Keuchen. Fürst Tokugawa war der Daimyō der westlichen Präfektur und der bedeutendste Verbündete des Fürsten Oda, der die östlichen Landstriche beherrschte, darunter auch das Dorf, in dem Tarō aufgewachsen war. Beide Fürsten gehörten zu den Daimyō, die der ehemalige Shōgun dazu auserwählt hatte, über seinen jungen Sohn zu wachen und ihn an der Macht zu halten. Also hatten sie ein gemeinsames Ziel. Sie kämpften Seite an Seite, um den Shōgun zu beschützen, teilten sich den Respekt der kleineren Adelshäuser, deren Land an ihres grenzte, ja, sie hatten sogar zwei Schwestern geheiratet.
Dass der eine Daimyō den anderen bedrohen sollte, war unvorstellbar. Doch die Äbtissin behauptete genau das.
»Wen hat er dazu angeheuert?«, fragte Shūsaku.
Die Äbtissin murmelte etwas. Der erste Teil ihrer Worte war zu leise und unverständlich, doch das Ende bekam Tarō mit: »… durch den Wald ritt. Nur Odas beispielloses Geschick mit dem Schwert hat ihn gerettet.«
»Rōnin?« , rief Shūsaku aus. »Hat Tokugawa den Verstand verloren?«
»Ich glaube nicht, dass Tokugawa irgendetwas ohne gründliche Überlegung tut«, entgegnete die Äbtissin. »In diesem Fall hat er Samurai angeheuert, deren Daimyō in der großen Schlacht gegen Oda auf Imagawas Seite gekämpft hatte. Diese Männer hassen Oda mehr als alle Dämonen der Hölle. Es dürfte Tokugawa nicht schwergefallen sein, sie zum Mord an dem Daimyō anzustiften, der ihnen allen Stolz und sämtliche Privilegien geraubt hatte. Bedauerlicherweise hatten sie auch ihre Disziplin verloren, und sie wurden gefasst und verhört. Dabei stellte sich heraus, dass Tokugawa sie angestachelt hatte.«
»Ihr Götter«, sagte Shūsaku. »Und Oda? Was hat er getan?«
»Nichts.«
»Nichts?«, wiederholte Shūsaku. »Aber …« Es herrschte Schweigen, und einen Moment lang glaubte Tarō wieder, sie hätten ihn bemerkt. Doch dann fuhr Shūsaku fort, und Tarō begriff, dass er nur nachgedacht hatte. »Aha, natürlich. Er hat auf Tokugawas nächsten Zug gewartet.«
»Ja.«
»Und?«
»Tokugawa hat seinem ältesten Sohn die Schuld gegeben«, berichtete die Äbtissin. »Der Junge hatte natürlich nichts damit zu tun, aber –«
»Er ist ein Samurai. Er ist für seinen Vater gestorben«, beendete Shūsaku ihren Gedankengang. »Er hat die Verantwortung für den versuchten Mordanschlag übernommen und es Tokugawa und Oda damit ermöglicht, die Illusion einer Allianz aufrechtzuerhalten.«
Illusion einer Allianz? , dachte Tarō. Er hatte das Gefühl, dass jemand die Welt, in der er aufgewachsen war, beiseitegeschoben hatte – sie war nicht mehr als eine bunt bemalte Shōji-Wand. Und die Grundsätze und die Geschichte dieser Welt, die er gelernt hatte, erwiesen sich als bloße Schatten von Figuren, die schrecklicher und schlechter waren, als er sich je hätte ausmalen können. Konnte es wirklich wahr sein, dass Fürst Oda und Fürst Tokugawa insgeheim darum kämpften, wer von ihnen Shōgun werden sollte? Wenn das stimmte, war das Leben des jungen Shōgun in Gefahr. Und das war so blasphemisch, so unvorstellbar für Tarō, dass ihm schwindlig wurde.
»Tokugawa selbst war sein Sekundant«, hörte er die Äbtissin sagen. »Er hat seinen Sohn enthauptet, Augenblicke nachdem der Junge sich den Bauch aufgeschlitzt hatte. Ich war dabei. Es geschah auf halbem Weg zwischen den Burgen der beiden Daimyō. Der Junge hat nicht mit der Wimper gezuckt. Das würde ich tapfer nennen, wenn es keine so jämmerliche Verschwendung wäre.«
»Und der jüngere Sohn?«
»Lebt jetzt in Odas Burg«, antwortete die Äbtissin. »Tokugawas Frau ebenfalls. Gäste ,
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