Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
konnte sich gerade noch an der Wand abfangen, ehe er fiel. Er blinzelte. Wenn er wieder in Nagoya war, würde er dem Daimyō Oda ein paar scharfe Fragen stellen müssen. Aber was, wenn er gar nicht nach Nagoya zurückkehrte? Was, wenn er die Kugel fand und für sich behielt? Er glaubte immer noch nicht recht daran, dass es sie wirklich geben könnte, aber … aber wenn doch! Unendliche Möglichkeiten. Mit diesem Ding in der Hand könnte er die Welt beherrschen. Es hieß, die Kugel sei das Modell der Welt, das der Mitfühlende Buddha in den Händen gehalten hatte, als er noch im Reich des Samsara weilte. Mit ihrer Hilfe konnte er ins Herz eines jeden Lebewesens schauen und es lenken, und auch das Wetter, das Land und das Meer. Die Kugel war den Wurzeln des Bodhi-Baums in Indien entnommen worden und danach verloren gegangen.
Konnte sie hier sein, in Japan? Konnte der Junge der Schlüssel zum Fundort sein?
Berauschende, freudige Erregung durchflutete ihn, und er wäre beinahe erneut gestürzt. Mit der Kugel konnte er seinem Körper gebieten, niemals zu verfaulen, er konnte den Würmern in der Erde und den Fliegen in der Luft befehlen, ihm fernzubleiben und sich niemals in ihm niederzulassen.
»Ich glaube wirklich, Ihr solltet ein wenig Fisch essen«, sagte die Frau. »Ihr seht sehr geschwächt aus.«
»Ich esse keinen Fisch!«, kreischte er.
»Nein, natürlich nicht«, murmelte sie, und in diesem Moment war Kira sicher, dass sie in sein Innerstes blicken konnte, dass sie ihn absichtlich quälte, und alles verzehrende Wut erfüllte ihn. Sie hatte sich das mit der Buddha-Kugel nur ausgedacht. Sie hatte in seine Seele geschaut und kannte seine Angst vor den niederen Geschöpfen, die in seinen Körper eindringen konnten – seine Angst vor Fleisch und Fäulnis.
Ja, sie hatte ihn mit der Kugel geködert. Sie wusste, dass seine Begierde danach ihn von dem ablenken würde, was wichtig war – davon, wie sie ihn verhöhnte. Die Kugel gab es nicht wirklich. Nur ihre Grausamkeit und ihr Spott waren echt.
Wenn sie glaubte, dass er eine Frau nicht töten würde, irrte sie sich gewaltig. Er hatte schon zuvor Frauen ermordet – ja, er hatte sogar schon eine Ninja getötet. Diese Hure, die sich als Dienerin des Daimyō Tokugawa ausgegeben hatte, in Wahrheit aber von den Ninja in Tokugawas Diensten geschickt worden war, um den Fürsten zu schützen. Als ein Verräter in den Reihen der Ninja – Kawabata, so hatte er geheißen – diese Information preisgegeben hatte, hatte Daimyō Oda Kira damit beauftragt, die junge Frau zu töten. Es war nicht dienlich, wenn Tokugawa stets einen solchen Schutz genoss.
Das war natürlich ein schwieriger Auftrag. Die Frau war ein Vampir und somit schwer zu töten. Nicht nur das, sie hatte sich obendrein in den Fürsten Endō verliebt, einen der bedeutendsten Samurai des Daimyō Tokugawa. Manche behaupteten sogar, sie habe ihn ebenfalls zum Vampir gemacht, indem sie ihn gebissen hatte, als er von einem Speer tödlich verwundet worden war.
All diese Faktoren – die Nähe zu Daimyō Tokugawa, der Schutz ihrer vampirischen Kräfte, die Freundschaft des großen Schwertfechters Endō – ließen es so gut wie unmöglich erscheinen, das Mädchen zu töten, selbst für einen Mann, der es über sich bringen konnte, eine schöne junge Frau zu ermorden. Doch Kira war es trotzdem gelungen. Im Grunde war es ganz einfach gewesen. Für alle anderen war das Mädchen nur eine Dienerin, also war es für Kira ein Leichtes gewesen, ihr nahe genug zu kommen, während die Männer mit der Planung ihres nächsten Angriffs auf die Feinde des Shōgun beschäftigt waren.
Er hatte ihr mit einem einzigen Schwertstreich den Kopf abgeschlagen.
Die Wahrsagerin starrte ihn mit angsterfülltem Blick an, doch dann wich ihre Angst, und sie lächelte.
»Was denn? Amüsiert dich etwas?«
»Ich sagte, ich würde Euch zwei Dinge verraten.«
Kira überlegte kurz. »Das hast du schon getan. Du hast gesagt, dass der Junge die Buddha-Kugel in die Hände bekommen und dass er den Daimyō Oda töten würde.«
»Das ist nur eines. Ich werde Euch noch etwas sagen, wenn Ihr es hören möchtet.«
Kira nickte. »Also schön.«
»Hört gut zu«, sagte sie. Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Wenn Ihr sterbt, wird Euer Körper viele Monde lang liegen bleiben. Würmer werden Eure Augen fressen. Fliegeneier werden zwischen Euren Sehnen reifen.« Sie hielt inne, und ihr Lächeln wurde breiter. »Ihr könnt
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