Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
behauptet Daimyō Oda.«
»Verdammt sollen sie sein, alle beide«, sagte Shūsaku. Ein Knall war zu hören, als hätte er gegen den Holzrahmen der Schiebetür geschlagen. »Jetzt hat Tokugawa also seine beiden offiziellen Erben verloren, und was hat er gewonnen? Einen Augenblick des Friedens? Odas geheucheltes Vertrauen in eine inszenierte Hinrichtung, die Tokugawa um sein kostbarstes Gut gebracht hat?«
»Er hat einen Krieg vermieden. Darum geht es doch bei ihrem Spiel, nicht wahr?«
Shūsaku antwortete, aber die beiden hatten sich von der Wand entfernt, und Tarō verstand nichts mehr.
Fürst Tokugawa hatte also versucht, den Fürsten Oda zu ermorden. Das war natürlich unglaublich, und doch schien Shūsaku davon überzeugt zu sein. Tarō spürte einen instinktiven Zorn auf den Fürsten Tokugawa. Er war in Kantō aufgewachsen, wo man dem Daimyō Oda treu war, und es entsetzte ihn, dass jemand dem großen Edelmann nach dem Leben trachten sollte.
Aber die Äbtissin hatte gesagt: »Darum geht es bei ihrem Spiel.« Das deutete darauf hin, dass beide Fürsten darin verwickelt, beide gleich schuldig waren.
Nein, sagte sich Tarō. Falls es da eine verborgene Rivalität geben sollte, war daran allein Daimyō Tokugawa schuld. Er hatte einen kaltblütigen Mord befohlen. Und als der Plan fehlgeschlagen war, hatte er lieber seinen eigenen Sohn geopfert, als den Mordversuch zuzugeben! Was für ein Mann konnte nur so brutal sein? Daimyō Tokugawa war offenkundig eine Schlange, eine Schande für die Klasse der Samurai.
»Und jetzt«, sagte die Äbtissin, »muss ich mich wirklich schlafen legen.«
Tarō wich von der Schiebetür zurück, und ihm drehte sich der Kopf. Ich sollte fortgehen , dachte er. Er erinnerte sich an eine Ama, die sich den Fuß an einer Koralle geschnitten hatte. Die Wunde hatte sich entzündet, doch das hatte sie zu spät bemerkt. Der Heiler hatte erklärt, wenn sie gleich zu ihm gekommen wäre, hätte er sie vielleicht noch retten können, indem er ihr den Fuß abtrennte.
Tarō kam sich vor wie dieser Fuß. Er musste abgeschnitten werden – er musste entfernt werden aus der Nähe jener, die gesund und glücklich waren und des Nachts nie von Ninja heimgesucht wurden.
Er musste fortgehen.
Kapitel 23
»Wir müssen gehen«, flüsterte Shūsaku. Er stand neben Tarōs Futon, nur ein vager Umriss in dem dunklen Raum. Tarō schwang die Füße auf den Boden. Er sah, dass Hirō bereits aufgestanden war. Draußen umherzuziehen hatte ihre Reflexe geschärft und ihren Schlaf leichter gemacht.
»Was ist denn?«, fragte er ebenso leise wie Shūsaku.
Shūsaku hielt Tarōs Bogen hoch, den die Äbtissin ihm abgenommen hatte, um ihn mit einer neuen Sehne zu versehen. »Ich habe auch etwas zu essen eingepackt«, erklärte er. »Nicht viel, aber es wird reichen, damit Hirō bei Kräften bleibt.« Er warf einen Blick auf Hirōs muskulöse Körperfülle. »Jedenfalls eine Zeitlang.«
»Wir brechen auf, ohne uns zu verabschieden?«
»Das ist die einzige Möglichkeit. Die Äbtissin ist eine gute Gastgeberin – und eine gute Freundin. Sie würde uns nicht so rasch davonkommen lassen.«
»Und du glaubst, es wäre gefährlich für uns, wenn wir länger hierbleiben?«, fragte Hirō.
»Nein«, entgegnete Shūsaku. »Ich glaube, es wäre gefährlich für sie .«
Tarō nickte. Er war froh darüber, dass sie fortgingen und die Mädchen und die Äbtissin dann sicher sein würden – mit etwas Glück. Er hoffte, dass das, was die Äbtissin vorausgesehen hatte, jetzt vielleicht nie eintreffen würde. Trotzdem würde er die Mädchen vermissen – Heikō zumindest. Yukiko war zu scharfzüngig, zu kantig und zu misstrauisch ihm gegenüber.
Ja, er würde sie alle vermissen. Doch er war jetzt ein Vampir und beinahe schon ein Ninja. Er durfte es sich nicht erlauben, irgendwelche Zuneigung zu entwickeln, und wenn er zuließ, dass solche Bindungen entstanden, würde er dafür mit dem Tod der Menschen bestraft werden, die er liebte, und um sie trauern müssen. Da war es besser, sie lebendig zurückzulassen.
Also schlich er hinter Shūsaku durch das dunkle Haus in den Garten hinaus. Lautlos stellte er einen Fuß in Hirōs verschränkte Hände und wurde auf die Mauer hochgestemmt, von der aus sie aufs weite, offene Land gelangten.
Die Sterne am unendlichen Himmel waren schön, aber kalt.
Kapitel 24
Kira Kenji fegte eine der Schüsseln vom Tisch, und sie zersprang auf dem Boden. Die Geste sollte einschüchternd wirken,
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