Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Frau drückte. »Sag mir, wohin sie gegangen sind. Sonst gebe ich ihm den Befehl.«
Die Frau ignorierte ihn und betrachtete ihn mit einer Besorgnis, die er noch unverschämter fand als ihre Weigerung, seine Fragen zu beantworten. »Ich habe noch etwas Fisch, wenn Ihr möchtet«, sagte sie. »Die Geister werden ihn Euch gewiss nicht missgönnen.«
Kira würgte – er konnte nicht anders. Sie weiß ja nicht, was sie sagt , dachte er. Aber vielleicht wusste sie es doch. Sie war immerhin eine Prophetin, nicht wahr?
Einen Moment lang hatte Kira das scheußliche Gefühl, dass sie in seinen Geist schauen und sehen konnte, wie es dazu gekommen war, dass er statt aus Fleisch fast nur aus Gestein, Metall und Wasser bestand. Für einen kurzen Moment wurde er auf das Schlachtfeld nach der vernichtenden Niederlage des Daimyō Imagawa zurückversetzt und lag wieder mit einer Wunde am Bein unter Leichen begraben.
Sechs Tage lang hatte er dort gelegen, Tau vom Boden geleckt und die Feuchtigkeit von den kalten, beschlagenen Schwertern der Toten. Er hatte versucht, sich zu bewegen, doch sein Bein war von der Hüfte bis zum Knie aufgeschlitzt. Selbst wenn er die Kraft gehabt hätte, das Pferd beiseitezuschieben, das über seiner unteren Körperhälfte lag, hätte er nicht aufstehen können. Also musste er dort ausharren, und nach zwei Tagen begannen die Kadaver um ihn herum äußerlich und innerlich von lebendem Getier zu wimmeln. Ratten kamen aus dem Bauch des Pferdes gekrochen. Würmer und Maden wanden sich aus den Augen und Nasenlöchern der gefallenen Männer, und ihre Köpfe bebten in der Luft, als schnüffelten sie nach dem Tod. Es kamen sogar einige Frösche, und dann natürlich die Fliegen, die zahllosen Fliegen.
Als Kira endlich gerettet wurde, wusste er, dass er nie mehr derselbe Mann sein konnte wie zuvor – dass er den abscheulichen Affront alles Fleischlichen nicht länger ertragen konnte. Die Männer, die an ihn gepresst im Matsch des Schlachtfelds gelegen hatten, waren von faulen Gasen widerlich aufgedunsen und hatten pulsiert vom Leben der niederen Geschöpfe, die über ihre Leichen hergefallen waren.
Mit Kira würde das niemals passieren. Von dem Tag an, da sie ihn gerettet hatten, war ihm kein Bissen Fleisch mehr über die Lippen gekommen, oder überhaupt etwas außer Wasser, Reis und Gemüse. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, das Fleisch eines anderen Geschöpfs in sich aufzunehmen, es in seinem Körper zu haben, so wie diese Würmer und Fliegen sich in die Toten hineingebohrt hatten.
Wasser aus dem Bach, Wurzeln aus der Erde, Reis vom Feld. Das war alles, was er essen wollte, und wenn er starb, würde man ihn verbrennen, wie es die Tradition der Samurai forderte. Ja, er würde nichts hinterlassen als graue Asche, sauber und trocken, genau wie die Schwerter von Imagawas Männern, die unverdorben – unberührt – im kalten Matsch gelegen hatten, während die Männer, die sie einst geführt hatten, verfaulten.
»Kira-san?«, fragte der Samurai, der hinter der alten Frau stand.
Kira blickte auf. »Ah … ja. Ich habe nachgedacht, weiter nichts.« Er richtete sich auf und ließ die Wand los. »Nun denn, alte Frau. Du sagst uns lieber, wohin der Junge gegangen ist.«
»Ich habe die Zukunft gesehen«, erwiderte die Frau. » Wenn Ihr irgendetwas über mich wisst, dann ist Euch bekannt, dass ich dazu in der Lage bin. Ja, ich habe die Zukunft gesehen, und das bedeutet, dass ich Eure Frage niemals beantworten werde, ganz gleich, was Ihr mir antut.«
»Das mag sein. Die Schmerzen der Befragung wirst du trotzdem ertragen müssen.«
Die Frau lächelte. »Fragen sind immer schmerzhaft. Das ist ein Teil des Wahrsagens, den die Leute nie verstehen. Aber welche Qualen ich auch erleiden mag, ich werde Euch nichts sagen.« Sie hielt inne. »Nein. Wartet. Ich werde Euch zwei Dinge verraten, von denen Ihr nichts wisst.«
»Sprich«, sagte Kira gelassen.
»Der Junge wird die Buddha-Kugel in Händen halten, und er wird sie dazu benutzen, den Daimyō Oda zu töten.«
Kira schnaubte höhnisch. »Die Buddha-Kugel gibt es nur in einer albernen Geschichte.«
»Denkt darüber, wie Ihr wollt. Aber Oda glaubt daran. Was meint Ihr, warum er den Jungen so unbedingt haben will?«
Kira drehte sich der Kopf, und wieder wünschte er, er hätte mehr zu essen gefunden. Konnte das wahr sein? Aber nein, Daimyō Oda hätte ihm so etwas gesagt, oder nicht? Dies war seine Mission … Er war damit … betraut …
Er
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