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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Pedale, Alter«, rief Fred in den Regen. »Sonst fangen die ohne uns an.«
    Sie erhöhten die Geschwindigkeit, als würden sie bei einem Radrennen zum Endspurt ansetzen. Trotz Regen und Wind kamen wir jetzt sogar noch schneller voran. Der Regen kam von hinten, und auch der Wind unterstützte die beiden, indem er ihnen mächtig in den Rücken blies.
    Schon eine halbe Stunde später tauchte Bern vor uns auf, die Hauptstadt der Schweiz. Auf den Straßen waren Menschenmassen unterwegs. Es ging zu wie auf einem Volksfest. Fahnen wurden geschwenkt. Menschen sangen.
    Karl und Fred kamen pitschnass von Regen und Schweiß am Stadion an.
    »Geschafft!«
    »Geschafft!«
    Sie hoben die Hände und klatschten sich ab, völlig durchnässt, aber glücklich.
    Ich merkte ihnen an, dass sie froh waren, es endlich geschafft zu haben. Und sie schienen stolz zu sein, die lange Reise überhaupt angetreten zu haben.

1954, Bern, Schweiz
    »Aus dem Hintergrund kommt Rahn, Rahn müsste schießen, Rahn schießt … TOOOR! TOOOR! TOOOR!«
    Aus dem Transistorradio brüllte die Stimme eines Mannes so laut und überdreht, als würde er gleich verrückt werden.
    Fred und Karl standen auf der Tribüne und sahen nichts. Weder das Tor, das der deutsche Stürmer Helmut Rahn in diesem Augenblick geschossen hatte, noch den Jubel der deutschen Fußballer.
    Auch ich sah nichts von alledem. Es stand drei zu zwei für die deutsche Nationalmannschaft gegen ungarn, und es waren keine zwanzig Minuten mehr zu spielen.
    »Das könnte reichen!«, sagte Karl.
    »Hoffentlich!«, kam es ähnlich begeistert von Fred.
    Wie die beiden konnte auch ich, in der Hand von Fred, nur schlenkernde Arme, klatschende Hände und schüttelnde Köpfe vor, neben und hinter mir erkennen. Unbeschreiblicher Jubel toste. Fremde Menschen fielen sich um den Hals, umarmtenund küssten sich. Auch Fred und Karl blieben nicht davon verschont.
    Ich rutschte bei einer dieser heftigen umarmungen und anschließendem freudigem Schulterklopfen eines unbekannten Schlachtenbummlers aus Freds Hand und fiel auf den Boden der Tribüne. Weil diese ziemlich abschüssig war, kullerte ich an den Füßen der Leute entlang immer weiter abwärts. Ich hörte noch, wie Fred entsetzt aufschrie und irgendetwas zu Karl sagte, was ich aber nicht mehr verstehen konnte.
    Bestimmt werden sie mich suchen , dachte ich, als ich endlich liegen blieb und eine Hand nach mir griff. Ich blickte in das verweinte Gesicht eines Mädchens. Sie jubelte nicht. Ganz und gar nicht.
    Komisch , dachte ich. Es steht doch drei zu zwei für die Deutschen! Warum macht das Mädchen ein Gesicht, als würde gleich die Welt untergehen?
    Sie drängte sich durch die fröhlich jubelnden Menschen hindurch zum Ausgang.
    Dann öffnete sie eine Tür. Sie stieg ein paar Treppen hoch, ging durch dunkle Gänge, in denen das Geschrei von draußen seltsam hallte, und stand schließlich wieder auf einer Art Tribüne im Freien. Vor uns saßen Leute und redeten in unterschiedlichen Sprachen aufgeregt in Mikrofone. Neben ihnen saßen andere Männer und kritzelten ebenso aufgeregt Blöcke voll. Es waren Reporter aus der ganzen Welt, die über das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft zwischen ungarn und Deutschland aus dem Stadion in Bern in ihre Heimatländer berichteten.
    »Aus, aus, aus, aus, das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!«, hörte ich wieder die völlig überdrehte Stimme vonvorhin. Jetzt an einem der Mikrofone. Ein Mann sprang von seinem Stuhl auf, dass der hinter ihm umkippte. Dann zappelte der Mann und fuchtelte mit den Armen wie ein Fluglotse in der Luft herum. Er griff sich immer wieder an den Kopf und rief mit sich überschlagender, heiserer Stimme: »Halten Sie mich für verrückt, halten Sie mich für übergeschnappt …«
    Ja , dachte ich, allerdings , während das Mädchen sich die Tränen aus den Augen wischte.
    Sie sagte bedrückt und so leise, dass es kaum zu verstehen war: »Gehen wir, Papa?« Dabei zupfte sie am verschwitzten Hemd eines jungen, gut aussehenden Mannes, der so traurig dreinschaute wie das Mädchen. Er drückte es an sich und sagte: »Gleich, mein Schatz, gleich!«
    Dann klappte er seinen Block zu und verließ mit dem Mädchen an der Hand und mit mir die Reportertribüne.

1954 – 1956, Budapest, Ungarn
    »Na, bist du auch traurig, dass wir verloren haben?«
    Wir haben doch gewonnen, wollte ich sagen, aber traurig bin ich trotzdem. Aber davon konnte das Mädchen natürlich nichts wissen.
    Das Mädchen

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