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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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konnte ich nicht sagen, nicht einmal, nachdem ich es lange und mit großen Augen betrachtet hatte. Miriam schien es genauso zu gehen.
    »Was ist das denn?«, fragte sie in einer Mischung aus Erstaunen und Misstrauen.
    Wieder schwieg Tom eine Weile und sagte schließlich mit ein wenig Stolz in der Stimme: »Der Fernsehturm.«
    »Welcher Fernsehturm?«, wollte Miriam wissen.
    Auch ich hatte keinen blassen Schimmer.
    Tom ließ sich mit seiner Antwort wieder lange Zeit, sodass aus Miriam schließlich ungeduldig »Na, sag endlich!« herausplatzte.
    »Der Fernsehturm, der gerade in Berlin am Alexanderplatz gebaut wird.«
    »Irre!«
    Ohne Pause fügte Tom mit salbungsvoller Stimme hinzu: »Das wird der größte Turm in der Deutschen Demokratischen Republik, in ganz Europa, fast auf der ganzen Welt!«
    »Echt?«
    »Ja, und ich habe ihn schon mal vorab gebaut.«
    »Irre!«
    Miriam ging ganz nahe an den Turm heran und kniff dabei die Augen zusammen.
    »Mensch, das sind ja alles Streichhölzer!«
    Und tatsächlich, der Turm bestand aus Tausenden von Streichhölzern, die aneinandergeklebt waren. Nur die Zündköpfchen fehlten. Es sah gigantisch aus.
    »Klar«, sagte Tom, in dessen Stimme jetzt noch mehr Stolz mitschwang. »Nichts als Streichhölzer und Holzleim. Im Maßstab eins zu dreihundertfünfzig.«
    »Aber woher weißt du denn, wie der Fernsehturm in echt mal aussehen wird?«
    Miriam staunte noch immer über das mehr als einen Meter hohe Kunstwerk vor ihren Augen.
    Wieder entstand eine lange Pause, während Tom in verschiedenen Schubladen seines Schreibtisches kramte.
    »Von Papa«, sagte er schließlich. »Der hat mir eine Zeichnung gezeigt, die in der Zeitung stand.«
    Tom zog einen zerknitterten Zeitungsartikel aus einer der Schubladen und hielt ihn Miriam hin. »Siehst du? Jetzt fehlen nur noch die Antennen, dann ist er fertig.«
    Der Miniaturfernsehturm auf dem Tisch sah tatsächlich genauso aus wie die Zeichnung in Miriams Hand.
    »Und wie hoch wird er in echt?«
    »Dreihundertachtundsechzig Meter«, sagte Tom. »Und die Kugel da oben dreht sich.«
    Er zeigte auf die Kugel aus Streichhölzern auf dem Tisch.
    »Nein!«
    »Doch!«
    Die beiden sahen sich an, wobei Tom Miriams Blick nicht lange standhalten konnte und wieder zur Kugel schaute.
    »Na, dann mach mal«, sagte Miriam.
    Tom kicherte leise vor sich hin. »Doch nicht die, sondern die echte.«
    Jetzt kicherte auch Miriam.
    »Und wann wird die echte fertig sein?«
    »Na ja, ein paar Jahre wird es schon noch dauern. So schnell wie ich sind die nicht.«
    Tom schmunzelte wieder.
    »Wie lange hast du denn dafür gebraucht?«
    »Fast ein Jahr. Aber mein Vati hat mir auch immer wieder mal geholfen.«
    »Und was machst du damit, wenn er fertig ist?«
    Tom zuckte mit den Schultern.
    »Vati meint, wir könnten ihn ausstellen. Vielleicht im Kulturhaus.«
    »Hm«, machte Miriam.
    »Oder wir versteigern ihn für die Pionierhilfe.«
    Miriam schüttelte den Kopf. »Nee, nicht versteigern, lieber ausstellen. Und was bastelst du als Nächstes?«
    »Den antiimperialistischen Schutzwall mit Wachtürmen.«
    Miriam tippte sich an die Stirn und lachte.
    Tom lachte nicht.
    * * *
    Es dauerte natürlich nicht lange, bis auch Luzie sich mit Tom angefreundet hatte und die drei – Miriam, Tom und Luzie – ein unschlagbares Trio wurden. Wobei Reibereien zwischen Luzie und Miriam nicht ausblieben. Ich glaube, das lag unter anderem daran, dass beide in Tom verliebt waren, obgleich es sich natürlich keine von beiden eingestehen wollte, und schon gar nicht der anderen gegenüber. Immer, wenn die eine der anderen diesen Vorwurf machte, hieß es nur: »Du spinnst doch!«
    Woraufhin sich für kurze Zeit wieder alles um Tom drehte.Dabei kam den Mädchen unbeabsichtigt die ein oder andere Schwärmerei über die Lippen. Meistens waren sie zusammen bei Tom. Oder Tom war zusammen mit Miriam bei Luzie. Und umgekehrt.
    * * *
    Endlich war es so weit. Der lang angekündigte Westbesuch von Tante Lisa und Onkel Hermann bei Luzie und ihrer Mutter stand kurz bevor.
    Schon Wochen vorher hatte Luzie nur noch davon gesprochen und die anderen damit genervt. Bis Tom sich zu der unbedachten Äußerung hinreißen ließ: »Du mit deinen blöden Wessis!«
    Luzie war sofort eingeschnappt. Miriam tröstete sie mit den Worten: »Er hat’s nicht so gemeint.«
    Was wiederum Luzie dazu veranlasste, Miriam das Versprechen abzuringen, beim Besuch ihrer Westverwandten dabei zu sein.
    Also war auch Miriam ganz aufgeregt,

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