Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert
deutsch-deutschen Grenze pudelwohl zu fühlen. Der Schäferhund war von dem herumtollenden Che so abgelenkt, dass er seiner eigentlichen Aufgabe, im Bus nach Drogen zu schnüffeln, nicht mehr nachkommen konnte.
»Wenn Sie nicht augenblicklich Ihren Hund festhalten, müssen wir von der Schusswaffe Gebrauch machen!«, rief der Grenzbeamte, während der Schäferhund noch immer winselnd an der Leine zerrte, als wollte er sie durchreißen.
Hektisch machten die jungen Leute sich zwischen den Autos auf die Jagd nach Che, um ihn festzuhalten, was erst nachmehreren Minuten gelang. Die Grenzbeamten, mit düsterer Miene und gefurchter Stirn, ließen sie dabei nicht aus den Augen.
Nachdem Che endlich festgesetzt war, musste der komplette Bus ausgeladen werden.
»Auch die Matratze?«, fragte einer der Männer und zeigte auf die Liegefläche im Bus.
»Alles, habe ich gesagt!«, befahl einer der Grenzbeamten. Seine Stimme klang schadenfroh.
Nachdem die Grenzer alles durchsucht hatten, wobei sie jede Tasche öffneten und durchwühlten, aber nichts Verdächtiges finden konnten außer ein paar Zeitschriften, die sie unter leisem Protest der jungen Leute behielten, durfte alles wieder in den Bus geladen werden.
Während am Himmel über der Grenze dicke Wolken aufzogen, konnte die Reise endlich weitergehen. Als die Grenze im Rückspiegel verschwunden war, sagte der Fahrer erleichtert und wütend zugleich: »Verdammte Grenzer!« Mehrmals schlug er mit der flachen Hand auf das Lenkrad. »Und ich dachte, das sind unsere Freunde.«
Ein bitteres Lachen kam von den anderen. Dann sagte die Frau neben mir: »Na los, gib Gas, sonst ist der Schah wieder weg, bevor wir da sind.«
Während wir durch die DDR fuhren, schlief Che neben mir ein. Auch ich wurde müde, schloss die Augen und dämmerte vor mich hin.
* * *
Ich wurde erst wieder wach, als wir bereits in Westberlin waren. Draußen war es mittlerweile dunkel. Die jungen Leute stelltenden Bus ab. Che nahm mich wieder in sein Maul. Dann ging es auch schon los.
Die Straßen waren voller Menschen. Viele hielten Transparente und Schilder hoch, auf denen Mörder! oder Nieder mit dem Schah! zu lesen war.
Was das zu bedeuten hatte, wusste ich anfangs nicht. Dass es aber nicht ganz ungefährlich war, zeigten schon die vielen Polizisten.
Dann fuhr ein großer schwarzer Mercedes, begleitet von Polizeimotorrädern, mit dem Schah am Opernportal vor. Der Wagen war nur aus der Ferne zu sehen, da alles um die Oper herum abgesperrt war.
Die Demonstranten schrien und reckten die Fäuste in die Luft. Manche warfen auch Tomaten und Mehlbeutel in Richtung des Mercedes.
Plötzlich hielt ein Bus jenseits der Absperrungen vor den Demonstranten. Die Türen gingen auf, und aus dem Bus sprangen Männer in schwarzen Anzügen, lange Dachlatten in den Händen.
Was haben die denn vor? , dachte ich noch, als die Männer plötzlich über die Absperrungen sprangen und mit den Dachlatten auf die Demonstranten einprügelten.
»He, was soll das?«, schrien einige. »Seid ihr bescheuert?«
Andere wehrten sich und schlugen zurück. Viele sanken blutüberströmt zu Boden und wurden von Polizeibeamten weggeschleppt. Wenn andere Demonstranten sie daran zu hindern versuchten, zogen die Polizisten ihre Schlagstöcke und prügelten auf die Protestierenden ein. Viele der jungen Leute wollten flüchten, doch so einfach war das nicht, denn von allen Seiten kamen jetzt Polizisten herbei, zum Teil auf Pferden,sodass die meisten Demonstrierenden eingeschlossen waren. Schließlich wurden auch Wasserwerfer eingesetzt.
Panik brach aus. Alle versuchten, möglichst schnell wegzukommen. Andere erkannten die Ausweglosigkeit und setzten sich auf den Boden, um ihre Gewaltlosigkeit zu zeigen. Doch die Polizisten schienen das ganz anders zu verstehen und knüppelten auf die wehrlosen Menschen ein. Manchen gelang dennoch die Flucht.
Ich und Che rannten über die am Boden liegenden Verletzten hinweg und versuchten zu entkommen. Selbst Hunde und Nussknacker waren hier nicht sicher. Es gelang uns tatsächlich, im Schlepptau einiger junger Leute einen Ausgang aus diesem Kessel zu finden und uns in einem Hinterhof zu verschanzen. Kaum glaubten wir uns in Sicherheit, hatten die Verfolger uns eingeholt. Kriminalbeamte in Zivil und in Uniform standen uns mit ihren Schlagstöcken im Hinterhof gegenüber und baten zum Showdown.
Es war ein ungleicher Kampf. Die Demonstranten versuchten erneut zu flüchten. Viele wurden an der Einfahrt zum
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