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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Schränken kicherten. Das war aber auch schon das Aufregendste, was ich in den Monaten im Kinderladen erleben durfte.
    * * *
    Als ich mich beinahe schon mit der Ereignislosigkeit abgefunden hatte und vom täglichen Geschrei der Kinder fast taub geworden war, änderte sich wider Erwarten doch etwas.
    Ein kleiner nackter Junge griff mit seinen klebrigen Händen nach mir und warf mich ohne zu überlegen einem Mädchen hinterher, das ebenfalls nackt und kreischend vor dem Jungen davonlief. Das Mädchen bückte sich, sodass ich über die Kleine hinwegflog und Betty, der Erzieherin – oder was man hier dafür hielt – gegen die Brust prallte. Betty heulte auf und rief: »Spinnst du, Pascal! Das tut man nicht!«
    Pascal schien anderer Meinung zu sein. Er lachte nur, streckte die Zunge heraus und verduftete, ehe die Erzieherin ihn zur Rede stellen konnte.
    Betty fluchte leise vor sich hin, als sie mich plötzlich auf dem Boden liegen sah. Sie verharrte, schaute mich lange an und hob mich dann auf. Sie hielt mich in der Hand und drehtemich mehrmals um mich selbst. Es schien, als würde ich sie an irgendetwas erinnern, denn sie lächelte.
    »So einen hatte ich auch mal«, sagte sie schließlich leise, wie zu sich selbst.
    Pascal kam erneut um die Ecke geflitzt. Diesmal hielt er ein Matchboxauto in der Hand, mit dem er nach Betty zielte.
    »Pascal, nicht!«, schrie Betty.
    Zu spät. Das Auto segelte durch die Luft und schepperte dicht neben Betty gegen die Wand.
    »Jetzt reicht’s!« Betty rannte dem schon wieder verduftenden Pascal hinterher. Mich hielt sie noch immer in der Hand. Pascal versteckte sich hinter einem Schrank und wollte gar nicht mehr hervorkommen. Betty schlug mehrmals mit der flachen Hand dagegen, während Pascal hinter dem Schrank kicherte.
    Schließlich packte Betty ihre Tasche, steckte mich hinein und schimpfte: »Blöde antiautoritäre Erziehung!« Sie ging zur Tür, blieb noch mal kurz stehen und schrie: »Ich gehe!«
    Die Kinder verstummten und blickten der Erzieherin verwundert hinterher.
    * * *
    »Das kannst du doch nicht machen.«
    Betty saß mit angezogenen Beinen auf einer Couch, während drei junge Männer mit langen Haaren und struppigen Bärten um sie herumstanden. Ich steckte noch immer in Bettys Handtasche.
    »Du siehst doch, dass ich es kann«, sagte sie trotzig.
    »Und die Kinder?«, fragte einer der Männer. »Wer kümmert sich jetzt um die Kinder?«
    »Die kommen auch ohne mich zurecht. Sogar noch besser.«
    »Betty!«
    Betty hatte die Nase voll vom Kinderladen, so viel war klar, und ließ sich auch durch die vorgebrachten Argumente der Männer nicht erweichen.
    »Wenn die Kinder ihre Freiheit benutzen, um andere zu terrorisieren, dann läuft irgendetwas falsch.« Betty klang enttäuscht.
    »Wen terrorisieren sie denn?«, fragte einer der Männer, worauf Betty zornig rief: »Mich, verdammt noch mal!«
    »Das kommt dir nur so vor«, versuchte der Mann, der neben Betty saß, zu vermitteln, und strich sich dabei die Haare aus dem Gesicht.
    »Sag mal, spinnst du!« Betty stand auf. Sie griff nach ihrer Handtasche und zog mich hervor. »Mit dem hier hat Pascal nach mir geworfen!«
    Sie hielt mich demonstrativ in die Höhe. Ich bejahte, so gut ich konnte.
    »Der ist aus massivem Holz!«
    Sie hielt mich den Männern entgegen. Ich wanderte von einer Hand in die andere.
    Betty zog ihr T-Shirt hoch.
    »Hier!«
    Ein blauer Fleck war unterhalb des Schlüsselbeins zu sehen.
    »Das hat er bestimmt nicht mit Absicht …«
    »Doch! Hat er!«, ging Betty dazwischen. »Und danach hat er gelacht!«
    Die Männer blickten eingeschüchtert drein, als hätten auch sie einen blauen Fleck.
    »Und was sollen wir jetzt tun?«, fragte einer, während ichvon den Männern noch genauer betrachtet wurde, als wäre mir die Schuld an der ganzen Misere zuzuschieben.
    »Mir egal. Ich gehe da auf jeden Fall nicht mehr hin«, sagte Betty. Es klang endgültig.
    »Wer soll dann …«
    »Du!« Betty zeigte auf einen der jungen Männer. »Oder du!« Sie zeigte auf einen anderen. »Am besten alle drei zusammen.« Sie lachte gekünstelt. »Dann könnt ihr euch mit Nussknackern und Matchboxautos bewerfen lassen.«
    Sie stand auf, ging zur Tür, blieb noch einmal kurz stehen und sagte: »Viel Spaß dabei!«, ehe sie verschwand.
    »Betty!«, rief einer der jungen Männer ihr hinterher.
    Betty blieb verschwunden.

1969, Mond, Milchstraße, Weltraum
    Die Wasserpfeife gluckerte und wurde im Kreis herumgereicht. Ein süßlicher Duft

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