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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Noch ehe jemand sie bemerken konnte, rannte sie auch schon los.
    Sie hüpfte über die knarrenden Stufen zum zweiten Stock. Erster Stock. Erdgeschoss. Dann den Flur entlang bis zur Haustür. Von da auf den Gehsteig. Am umzugstransporter vorbei.
    »Lauf, Kira, lauf!«, wollte ich sie anfeuern.
    Als könnte sie mich hören, kam ein atemloses »Ja!« von ihr zurück.
    »Schneller, los, schneller!«
    Wir kreuzten Fahrradwege und Straßen. Häuser flogen an uns vorüber. Geschäfte. Geparkte Autos. Laternen und Straßenschilder. Passanten. Manche blieben stehen und schauten uns nach, schüttelten den Kopf, lachten oder schimpften hinter uns her. Andere machten einen Schritt zur Seite und gingen uns aus dem Weg.
    »Lauf, Kira, lauf!«
    Kira rannte, so schnell die Füße sie trugen. Häuser, Autos und Geschäfte verschmolzen zu einer einzigen flimmernden Tapete. Kira blickte im Laufen zurück. Ich auch. Der Umzugswagen war jetzt nur noch ein kleiner grauer Fleck.
    »Rechts!«
    Wir bogen ab.
    Kira wurde mit jedem Schritt langsamer. Schließlich blieb sie stehen, beugte sich vornüber und stützte die Hände auf die Oberschenkel. Ihre Knie zitterten. Speichel rann aus ihrem Mund. Auch ich schnaufte. Schweiß stand auf meiner Stirn.
    »Geschafft!«, keuchte Kira.
    »Na, außer Atem?«, hörten wir plötzlich hinter unserem Rücken eine Stimme. Erschreckt drehte Kira sich um. Voruns stand ein Mann, der aussah wie ein Sumo-Ringer in Uniform, mit einem Pistolengürtel an der Seite. Ein Polizist. Die X-Beine fest auf den Boden gestemmt, die Arme vor der Brust verschränkt, versperrte er uns den Weg.
    »Na, wo willst du denn so schnell hin? um die Zeit solltest du hübsch brav in der Schule sein.«
    Keine Antwort.
    »Wenn du nicht weißt, wohin du gehörst, muss ich dich leider mitnehmen!«
    »Ich will …«
    »Zu mir!« Diese Worte peitschten wie Schüsse durch die Luft.
    Kira drehte sich um. Mit ihr auch ich.
    Wir sahen ein Mädchen, kaum älter als Kira selbst. Dass es ein Mädchen war, merkten wir an der Stimme. Dem Aussehen nach hätte man die schmale Gestalt mit den kurzen, feuerroten Haaren für einen Jungen halten können. Sie trug löchrige Jeans, schwarze Lederstiefel mit roten Schnürsenkeln und ein schlabberiges, ärmelloses T-Shirt, das ihr viel zu weit war. Das Auffallendste an ihr war eine rot-blaue Tätowierung auf dem Oberarm, ein Drache mit Feuerzunge und aprikosenfarbenen Augen.
    Dann starrten wir wieder auf den Polizisten, der beim Anblick dieser abgerissenen Gestalt laut zu lachen begann. Sein massiger Körper vibrierte. Das Doppelkinn wackelte. Der Bauch unter dem eng sitzenden Hemd dehnte sich so weit, dass die Knöpfe abzuspringen drohten. Seine viel zu kleine Mütze rutschte auf dem dicken Schädel immer wieder hin und her.
    »Zu dir? und wo ist das, wenn ich fragen darf ?«, fragte er hämisch.
    »Blankenese!«
    Jetzt konnte der Mann sich vor Lachen nicht mehr halten. Seine Fettringe wippten hin und her.
    »Aus so ’ner piekfeinen Gegend? und das soll ich dir glauben?«
    Schweigen.
    Dann wurde der Polizist auf einmal ernst und sagte mit finsterem Blick zu Kira: »Wenn du mir deine Adresse nicht sagen willst, muss ich dich leider mit auf die Wache nehmen.«
    »Nun sieh dir das an, das gibt’s doch gar nicht!«, rief auf einmal der Rotschopf. »Da fummelt einer am Schloss von dem grünen Ford rum!«
    Sie deutete mit ausgestrecktem Arm zum Parkstreifen.
    Wir folgten ihrem Blick. Der Polizist drehte sich schwerfällig um …
    »Los!«
    Das Mädchen legte einen Blitzstart auf den Asphalt. Kira sauste hinterher, ohne eine Sekunde nachzudenken.
    Der Polizist tobte und rang nach Luft. Sein Gesicht lief rot an. Die Mütze fiel zu Boden. An Verfolgung war in Anbetracht seiner Leibesfülle nicht zu denken.
    »Schneller!«, rief die Fremde.
    »Ich tu mein Bestes«, keuchte Kira.
    Rasch hatten wir einen satten Vorsprung vor dem Sumo-Polizisten. Die roten Schnürsenkel des Punk-Mädchens schlackerten. Ihr weites T-Shirt flatterte im Wind. Das Drachentattoo spuckte Feuer, und ihre struppigen Haare standen in alle Richtungen ab.
    Die Häuser flogen nur so an uns vorbei. Schaufenster und geparkte Autos vermischten sich zu einem bunten Streifen. ImLaufen blickte ich zurück. Der Polizist war nur noch ein dunkler Klecks in der Ferne.
    »Links!«, kommandierte der Rotschopf.
    Wir bogen ab.
    »Schneller!«
    »Ich kann nicht mehr!«
    Kira wurde immer langsamer und blieb schließlich stehen. Das Mädchen

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