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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Bajro hinkte. Er zog sein rechtes Bein ein bisschen nach und kletterte auf den Fahrersitz.
    »Wo fahre hin?«, fragte er in gebrochenem Deutsch.
    »Zur Nationalbibliothek!«
    * * *
    Wir fuhren durch die Stadt. Zum ersten Mal wurde mir das wirkliche Ausmaß der Verwüstung so richtig deutlich. Brücken, Straßen, Häuser, alles schien zerstört. Straßenbahnen standen als ausgebrannte schwarze Klumpen auf den Gleisen. Verbogene Laternen zeigten in alle Richtungen. Menschen rannten durch die Straßen, als müssten sie den letzten Bus bekommen. Dabei fuhren gar keine mehr. Sie standen zerschossen und ausgebrannt am Straßenrand.
    Bajro fuhr viel zu schnell durch die Stadt, als wäre er auf der Flucht. Ab und zu krachte es, wenn er einen Gang einlegte, wobei er fluchte und das Gesicht verzog, als hätte er Schmerzen.
    »Verdammt Karre!«, raunzte er in seinem gebrochenen Deutsch, damit auch die anderen es verstanden.
    Vor einem völlig zerstörten riesigen Gebäude hielt der Wagen schließlich an.
    »Fertig«, sagte Bajro. »Aussteigen.«
    Das soll die Nationalbibliothek sein? , dachte ich und betrachtete den Trümmerhaufen, ohne Dach und mit zum Teil eingestürzten Mauern. So wie es aussah, war das Gebäude vor nicht allzu langer Zeit in die Luft geflogen. Es waren keine Bücher zu sehen, keine Regale, nichts, was im Entferntesten an eine Bibliothek erinnerte. Alles war verbrannt und verschüttet. Doch eigenartigerweise hörte ich Musik.
    Wir stiegen aus dem Wagen und kletterten über die Steinbrocken und Mauerreste hinweg ins Innere der Bibliothek. Da sahen wir dann einen Mann in einem schwarzen Frack, der inmitten der Trümmer saß und auf einem Cello spielte. Wir sahen ihm zu und warteten, bis er fertig war.
    Bajro hob wieder die Hand und grüßte den Mann. »Dobredan, Vedran!«
    Vedran grüßte zurück. Auch Suzanna und Asija grüßten.
    »Vedran spielt jeden Tag hier«, sagte Asija. »Seit die Nationalbibliothek in Schutt und Asche gebombt wurde.«
    »Warum machen Sie das?«, fragte Suzanna, und Asija übersetzte.
    Zuerst schien Vedran ein wenig irritiert, als wüsste er nicht genau, was Suzanna meinte.
    Dann sagte er: »Ihre Bomben und Granaten können die Nationalbibliothek zerstören, aber nicht mein Spiel.«
    Er sah trotzig, aber auch stolz aus.
    »Sie glauben doch nicht, dass Sie dadurch etwas verändern können, oder?«, fragte Suzanna.
    Vedran schwieg und sah Suzanna mitleidig an. Dann blickte er zum Himmel, der blau über uns strahlte, weil das Dach fehlte.
    »Tu, was du tun musst, dann wird es das, was es wird«, sagte Bajro anstelle von Vedran.
    »Ein altes Sprichwort.«
    Vedran nickte Bajro zu.
    »Solange ich spiele, spiele ich. Solange haben sie uns nicht besiegt.«
    Wieder schwieg er.
    »Und wie lange wollen Sie noch spielen?«, fragte Suzanna.
    »Bis der Krieg vorbei ist.«
    Es klang entschlossen, als ob ihn niemand davon abhalten könnte. Auch die Detonationen in der Ferne nicht.
    »Darf ich Sie fotografieren?«, fragte Suzanna zum Schluss.
    »Wenn Sie wollen.«
    Suzanna fotografierte. Vedran sah dabei trotzig, sein Cello zwischen den Beinen, in die Kamera. Er erschien inmitten der Steinbrocken, als könnte ihm nichts und niemand etwas anhaben. Weder die Bomben, noch der bevorstehende Winter.
    »Danke«, sagte Suzanna.
    »Kommen Sie wieder mal vorbei« entgegnete Vedran.
    »Bestimmt.«
    * * *
    Asija freundete sich immer mehr mit Bajro an. Das war nicht zu übersehen. Auch Suzanna schien das nicht zu entgehen.
    »Und, wie findest du ihn?«, fragte sie einmal flüsternd, ohne dass Bajro es hören konnte, als wir wieder mal unterwegs waren.
    »Hm, geht so«, entgegnete Asija eher beiläufig. Was ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass er sie offenbar mehr beeindruckte, als sie zugeben wollte.
    Suzanna schien das ebenfalls so zu sehen und lachte, während Bajro wieder krachend einen Gang einlegte.
    * * *
    Manchmal wartete Asija mit mir und Bajro zusammen im Hof vor dem Hotel in der Sonne auf ihren Einsatz, während Suzanna noch in der Eingangshalle oder auf ihrem Zimmer war.
    Während Bajro Kaugummi kaute und Asija ein Lied vor sich hin summte, zählte ich die Einschusslöcher an der Hauswand gegenüber. Bis Asija einmal wie aus dem Nichts heraus fragte: »Was ist mit deinem Bein?«
    Bajro hustete, und ich konnte mit dem Zählen wieder von vorne anfangen.
    »Kaputt«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Wie kaputt?«
    »Das Gelenk ist steif.«
    Asija schien nachzudenken. Dann fragte sie: »Du

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