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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Stadt wissen nichts davon?«, fragte Suzanna.
    »Nein. Und wir hoffen, dass das auch so bleibt.«
    Suzanna und Asija nickten.
    »Nur mit dem Tunnel kann sich die Stadt noch halten. Ohne ihn sind wir verloren.« In seiner Stimme schwang Stolz mit. »Demnächst wird auch eine Stromleitung verlegt. Und ein Telefonkabel.«
    »Irre«, kam wieder von Suzanna.
    »Und ein Schubwagen, eine sogenannte Lore, auf Schienen, soll auch gebaut werden, damit die Waren durch den Tunnel gerollt werden können.«
    Als wir wieder außerhalb des Tunnels waren, hielt der Mann Suzanna kurz am Ärmel fest.
    »Kein Wort zu niemandem, klar?«, sagte er mit einer Stimme, in der ein Hauch von Drohung lag.
    »Klar.«
    Wir stiegen ins Auto. Bajro legte fluchend und krachend den Gang ein, gab wieder zu viel Gas und fuhr davon.
    Der ehemalige Mathelehrer, der uns hinterherwinkte, wurde im Rückspiegel rasch kleiner.
    * * *
    Es war Weihnachten. Es schneite. Die Innenstadt war mit Schnee wie mit Zuckerguss überzogen. Ab und zu warf die Sonne ein paar funkelnde Strahlen über die Hügel und ließ die Plastikplanen vor den Fenstern glitzern. In der Stadt war es still. Keine Detonationen waren zu hören, keine Schüsse.
    Irgendwie friedlich , dachte ich, während Asija vor dem Haus in der Sonne saß, um mit dem Mund ein paar Schneeflocken zu erhaschen.
    Es schneite immer stärker. Die Flocken taumelten vom Himmel und überzogen die ganze Stadt mit einer weißen Schicht, als wollten sie die zerstörten Häuser und die aufgerissenen Straßen wie mit Mullbinden verarzten. Es sah schön aus. Auf den Straßen war kaum etwas los. Niemand war zu sehen. Ein paar Fußabdrücke kreuzten die verschneite Fahrbahn.
    Asija stellte ihren Mantelkragen auf und ging los. Ab und zu kam uns ein streunender Hund oder eine Katze entgegen.
    Wir warfen einen Blick in die Ruine der Nationalbibliothek. Vedran war nicht da. Asija rief mehrmals hintereinander und immer lauter seinen Namen, doch er blieb verschwunden. Das schien mir kein gutes Zeichen zu sein. Ich war froh, als wir die Ruine hinter uns gelassen hatten.
    Auch im Hotel Intercontinental war nichts los. Viele Journalisten waren zu Hause in ihren Heimatländern. Auch Kriegsberichterstatter feiern Weihnachten bei ihren Familien. Suzanna war gestern ebenfalls nach Deutschland geflogen. Mit dem Versprechen, wiederzukommen.
    Aber was sagt man nicht alles, um den Abschied erträglicher zu machen , dachte ich. Asija schien Ähnliches zu denken.
    Als ihre Nase so rot wie eine Tomate war, kehrten wir nach Hause zurück.
    Asija heizte den Ofen ein, zündete die Kerzen an und legte sich ins Bett. Noch ehe sie einschlafen konnte, klopfte es. Ich erschrak.
    »Ja?«
    Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Ein Kopf erschien in der Lücke, dunkel und kaum zu erkennen.
    »Darf ich reinkommen?«
    Es war Bajro.
    »Klar.«
    Er setzte sich neben Asija aufs Bett. Der Ofen strahlte wohlige Wärme ins Zimmer ab, und der Kerzenschein zauberte flackernde Schatten an die Wand. Das erste Mal seit Wochen waren noch immer keine Detonationen zu hören. Auch keine Schüsse.
    »Waffenruhe«, sagte Bajro.
    Asija fügte hinzu: »Angenehm, sehr angenehm.«
    »Ja. Und doch kommt es einem ganz unwirklich vor.«
    »Findest du?«
    »Weiß nicht.«
    »Also, ich könnte mich daran gewöhnen.« Asija lachte. »Willst du?«
    Sie schob Bajro einen Teller mit Plätzchen hin.
    »Von Suzanna.«
    »Die sitzt jetzt bestimmt unterm Baum und singt Weihnachtslieder.«
    Bajro kicherte.
    »Glaubst du?«
    »Glaub schon.«
    »Die ist doch nicht so hart, wie sie immer tut.«
    »Glaubst du?«
    »Hm.«
    »Irgendwie vermisse ich sie.«
    »Ich auch.«
    »Meinst du, sie kommt wieder?«
    »Glaub schon.«
    Bajro griff nach einem Keks und schob ihn in den Mund. Es knackte mehrmals in der Stille.
    Die Kerzen waren fast abgebrannt. Zwei davon waren schon ausgegangen. Es war schummrig im Zimmer.
    Schon eine ganze Weile hatten die beiden nicht mehr gesprochen. Angezogen lagen sie nebeneinander auf dem Bett. Asija hatte sich mit einer der Decken zugedeckt.
    »Schläfst du schon?«, fragte sie in die Dunkelheit, als die letzte Kerze erloschen war.
    »Ja«, sagte Bajro.
    »Schlaf schön.«
    »Du auch.«
    * * *
    Auf dem Markt gab es vieles, was man woanders nicht bekam. Wer genügend Geld hatte, konnte hier fast alles kaufen. Auf den abenteuerlichsten Wegen  – meist durch den Tunnel  – wurden Bananen, Apfelsinen, Äpfel und dergleichen in den Stadt geschmuggelt und zu völlig

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