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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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bloß eine Aufenthaltsgenehmigung, mit der ständigen Gefahr der Abschiebung ins Heimatland. Acht Jahre lang ging alles gut. Acht Jahre lang konnten sie geduldet in Deutschland leben. Sabiah wurde in Lübeck eingeschult. Zuerst ging sie zur Grundschule, dann aufs Gymnasium. An den Irak konnte sie sich gar nicht mehr erinnern. Für sie war Deutschland ihrZuhause, Lübeck ihre Heimat. Alle ihre Freunde lebten hier. Auch die Eltern hatten sich eingelebt. Sie waren glücklich hier und fühlten sich sicher.
    Bis Sabiahs Vater seine Arbeit verlor. Dann ging es ganz schnell. Die Aufenthaltsgenehmigung wurde für ungültig erklärt und die Abschiebung der ganzen Familie beschlossen.
    »Kirchenasyl«, sagte Frau Schulz. »Das könnte gehen.«
    Die Kinder blickten ungläubig. Sie konnten damit wenig anfangen.
    »Sabiah und ihre Eltern müssen Zuflucht in der Kirche suchen, im Pfarrhaus. Da können sie nicht so einfach in ein Flugzeug gesetzt und zurückgeschickt werden.«
    Warum das so sein sollte, schien den Kindern nicht ganz klar zu sein, aber wenn es half, dass Sabiah nicht wegmusste, war alles recht.
    »Wir müssen vor allem Zeit gewinnen«, sagte Frau Schulz. »Wer von euch hat eine Idee?«
    »Wir könnten Menschenrechtsgruppen einschalten!«, rief ein Schüler.
    »Amnesty International« schrieb Frau Schulz in das linke obere Eck der Tafel.
    »Und das Fernsehen«, sagte Julia.
    »Und Zeitungen«, ergänzte der schlaksige Junge aus der hinteren Reihe. »Und Radiosender.«
    Frau Schulz schrieb alles an die Tafel, die schnell mit Vorschlägen vollgeschrieben war.
    »Alle sollen von dieser Ungerechtigkeit erfahren«, sagte eines der Kinder.
    »Ja, genau!«, riefen die anderen.
    Die Schulglocke klingelte.
    »Auf geht’s«, sagte die Lehrerin. »Wir treffen uns nach der Schule alle bei Sabiah. Hausaufgaben gibt’s heute nicht.«
    * * *
    Die Kinder und die Lehrerin begleiteten Sabiah und ihre verzweifelten Eltern von ihrer Wohnung durch die Stadt zur nächsten evangelischen Kirche. Dabei trugen die Kinder die gepackten Koffer. Nur das Nötigste wurde mitgenommen. Es musste ja schnell gehen. Die Pastorin war zunächst überrascht, als die Familie um Obdach anfragte.
    »Die Familie braucht Kirchenasyl«, erklärte die Lehrerin.
    »Ich werde tun, was ich kann«, sagte die Pastorin. Offenbar dachte sie nicht an die Probleme der Finanzierung, Unterbringung oder an die rechtlichen Folgen, die im Gesetzbuch festgeschrieben waren. Sie öffnete die Tür des Pfarrhauses und sagte: »Kommen Sie rein.«
    Von da an wohnte ich mit Sabiah und ihren Eltern unter dem Dach des Pfarrhauses. Es gab zwei Zimmer, eine Küche und ein Bad. Es war die Gästewohnung. Wie geschaffen für Kirchenasyl.
    Die Pastorin kümmerte sich rührend um die Familie. Die Eltern durften das Pfarrhaus allerdings nicht verlassen, da sie sonst Gefahr liefen, von der Polizei erwischt und sofort abgeschoben zu werden. Immerhin erreichten die Lehrerin und alle anderen unterstützer, darunter die Eltern und das Lehrerkollegium, dass Sabiah zur Schule gehen durfte, solange die Kirche ihr Asyl gewährte.
    Die Schüler organisierten in der Stadt eine unterschriftenaktion für das Bleiberecht der Familie. Überall in den Geschäften wurden Listen ausgelegt, in denen die Leute sich eintragen konnten. Schon nach vier Wochen waren Tausendeunterschriften zusammen. Das machte Mut. Obgleich die Pastorin befürchtete, dass sie einen langen Atem brauchen würden, um gegen die bürokratischen Windmühlen anzukämpfen. Sie sollte recht behalten.
    Auch eine Tombola wurde an Weihnachten in der Schule veranstaltet. Alles, was die Eltern und Schüler zusammengetragen hatten, wurde verlost, um Sabiahs Familie auch finanziell über die Runden zu helfen. Da die Eltern das Pfarrhaus nicht verlassen durften, konnten sie auch kein Geld verdienen. Auch das war ein voller Erfolg.
    Der größte Erfolg aber war, als die Medien auf den Fall aufmerksam wurden. Zeitungsartikel über das Schicksal der Familie wurden veröffentlicht. Daraufhin meldeten sich viele Menschen auch bei den Politikern und beschwerten sich über die Hartherzigkeit und unmenschlichkeit, die man der Familie gegenüber an den Tag legte. Die Politiker sahen sich durch den öffentlichen Druck genötigt, sich der Öffentlichkeit gegenüber zu rechtfertigen, was gar nicht so einfach war. Eine Familie, die seit acht Jahren in Lübeck lebte, einfach abzuschieben, dafür brauchte man schon gute Argumente. Da reichte es nicht, sich auf

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