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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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immer die Gläser hoben und sich zuprosteten. Oft wurde auch Musik gemacht. Es waren vor allem Deutsche, die jetzt bei den Donalds ein und aus gingen. Emigranten, die von Hitler und den Nazis vertrieben worden waren und jetzt in New York und Amerika darauf warteten, bis der verdammte Krieg zu Ende sein würde. Es waren Schriftsteller, Maler, Komponisten, Tänzer, Schauspieler, Regisseure und Musiker. Manche hatte ich schon mal gesehen. Zuerst war mir nicht ganz klar wo. Als ich einenMann mit runder Brille und verschmitztem Gesicht erblickte, der auch noch einen komischen Dialekt sprach, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das war der berühmte deutsche Schriftsteller und Dramatiker Bertolt Brecht, der damals als Foto hinter Glas im Arbeitszimmer an der Wand von Salomons Vater hing. Auch er hatte Deutschland verlassen müssen. Auch er wurde von den Nazis verfolgt. Und mit ihm viele andere Berühmtheiten.
    * * *
    Einmal saßen alle um das Radio herum und schwiegen. Nur eine kläffende, zerquetschte Stimme war zu hören, die »Wollt ihr den totalen Krieg?« brüllte.
    Dann hörte man Menschenmassen, die wie aus einer Kehle »Ja!« riefen.
    Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Den anderen, die sich in Mr Donalds Wohnzimmer versammelt hatten, musste es ähnlich ergangen sein. Ein korpulenter älterer Mann schaltete das Radiogerät aus und sagte: »Goebbels peitscht die Massen auf, und das Volk schreitet im Gleichschritt hinterher!«
    »Nicht alle«, erwiderte ein anderer Mann, der fast zwei Meter groß und spindeldürr war.
    »Widerstand gibt es zwar nur vereinzelt, aber es gibt ihn«, sagte eine Frau, die Anna hieß und eine bekannte deutsche Dichterin war.
    »In Berlin haben sie jetzt wieder über fünfzig Widerstandskämpfer hingerichtet«, sagte der Dünne. »Leute von der Roten Kapelle, die das Volk mit Flugblättern wachrütteln wollten, Verfolgten wie uns selbstlos geholfen haben und dabei ihr Leben riskierten.«
    Ich dachte an Rosa, Frau Weniger und Dr. Rudolf und wurde ganz traurig.
    »Aus geheimen Kreisen ist bekannt geworden, dass in Auschwitz täglich fünf- bis sechstausend Menschen vergast und verbrannt werden«, sagte Anna. »Juden, Kommunisten, Widerstandskämpfer, Homosexuelle.«
    »Das ist ja schrecklich.«
    »Und was tun die Alliierten?«
    Manche hoben die Schultern. Andere schüttelten den Kopf.
    »Das ist Hitlers sogenannte ›Endlösung‹. Er will alle Juden in ganz Europa umbringen. Die Deportationen laufen schon.«
    »Der ist doch wahnsinnig!«
    »Und das deutsche Volk folgt diesem Wahnsinn!«
    »Das muss gestoppt werden!«
    »Aber wie?«
    Wieder hoben einige hilflos die Schultern. Andere ballten die Fäuste. Wieder andere betranken sich sinnlos.
    »Vielleicht hat der Irrsinn ja bald ein Ende!«, sagte Mr Donald.
    »Glauben Sie?«, fragte der lange Dünne skeptisch.
    »Die Alliierten beginnen in der Normandie mit der Invasion Westeuropas.«
    »Na endlich!«
    »6000 Schiffe, 850 000 Soldaten, 148 000 Fahrzeuge und 14 000 Bomber werden den Deutschen das Genick brechen. Dann geht es auch Hitler endlich an den Kragen.«
    »Hoffentlich!«
    Die Stimmung wurde wieder ein wenig besser. Es wurden schon Pläne geschmiedet, was danach alles passieren sollte. Die einen wollten nach dem Krieg sofort wieder nach Hausezurück. Andere schlugen vor, zuerst abzuwarten, wie sich alles entwickeln würde.
    »Noch ist es ja nicht so weit.«
    »Leider!«
    Wieder wurden alle nachdenklich, schwiegen und tranken still.
    So ging das tage- und wochenlang. Es wurde so heftig gestritten, bis beinahe die Fäuste flogen. Vor allem wurde viel getrunken. Manchmal wurde während dieser Zusammenkünfte auch getanzt, geflirtet und hin und wieder auch geküsst. Oft war einer der Gäste so betrunken, dass er nicht mehr nach Hause konnte. Er legte sich dann einfach aufs Kanapee und schlief angezogen ein. Das waren dann schlaflose Nächte für mich auf der Wohnzimmerkommode. Meistens schnarchten die unerwarteten Übernachtungsgäste nämlich ganz entsetzlich, sodass ich kein Auge zubekam. Außerdem war die Luft im Wohnzimmer in diesen Nächten dann so stickig und schlecht, dass ich versuchte, erst gar nicht mehr zu atmen, was natürlich nicht gelang.
    * * *
    »Attentat auf Hitler!«, schallte es in aller Herrgottsfrühe, als ich gerade ein Auge zubekommen hatte, durchs ganze Haus.
    Mr Donald kam ins Wohnzimmer gerannt und rief aufgeregt: »George! Oskar! Stehen Sie auf! Attentat auf Hitler!«
    George, ein dicker Kunstmaler

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