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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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sie Schnecken?«
    Ronald nickte. Sein Vater lächelte. »Tolles Mädchen!« und dann: »Hat Frau Rosengarten sich doch durchgesetzt!«
    Wen er nun meinte, war mir nicht ganz klar, Frau Rosengarten oder Rosa.
    Ronald schien kein großes Interesse an mir zu haben. Er stellte mich achtlos auf der Kommode im Wohnzimmer ab. Da stand ich dann mit meinem Loch im Körper und wartete. Und wusste gar nicht, worauf.
    * * *
    Ein paar Tage lang passierte nichts. Dann kam plötzlich Bewegung ins Haus. Frau Rosengarten tauchte eines Morgens auf. Ihr Gesicht war blass und verheult. Sie setzte sich in den Sessel und schluchzte. Mrs Donald kochte einen Tee, und Frau Rosengarten fing an zu erzählen, noch immer unter Tränen.
    »Dr. Rudolf ist verschwunden! Seine Praxis ist versiegelt. Das Telefon nimmt keiner ab. Sie haben ihn festgenommen.«
    »Verdammt! Ich muss sofort ins Büro!«
    Mr Donald sprang von seinem Sessel auf und war verschwunden, noch ehe Mrs Donald oder Frau Rosengarten etwas sagen konnten.
    »Erzählen Sie weiter!«, sagte Mrs Donald. »Und trinken Sie!«
    Frau Rosengarten nahm einen kleinen Schluck aus der Tasse und sagte: »Au, heiß!« Dann weinte sie wieder und schluchzte. »Jetzt sind wir alle dran.«
    »Aber nein, Frau Rosengarten, so schnell geht es nun auch wieder nicht«, versuchte Mrs Donald sie zu beruhigen. Das gelang ihr auch ganz gut. Bis das Telefon klingelte. Ronaldnahm ab und wurde ganz ruhig. Er legte wieder auf, kam ins Wohnzimmer und sagte: »Rosas Vater ist auch verhaftet!«
    »Nein!«, rief Frau Rosenfeld. »Das arme Mädchen!«
    Die Katastrophe nahm ihren Lauf.
    Kurze Zeit später war Mr Donald zurück.
    »Wir müssen weg!«, sagte er nüchtern. »Die USA treten in den Krieg ein. Unsere Regierung beordert mich zurück. Es wird zu gefährlich. Wir müssen packen.«
    Und was passiert mit mir? , dachte ich. Wer bringt mich jetzt zurück zu Rosa? Keiner, das war klar.
    Frau Rosengarten verließ die Donalds, und die Donalds verließen Deutschland, mit mir im Koffer, zwischen Unterhosen, Wollpullovern und Schuhen. Ich schloss die Augen und wusste, wenn ich sie wieder aufmache, werde ich in Sicherheit sein.
    Es wurde dunkel. Berlin verschwand vor meinen Augen. Deutschland löste sich im Schwarz des zugeklappten Kofferdeckels auf. Ich wurde traurig.
    Irgendwo geht immer ein Lichtlein auf , sagte ich mir und dachte an Rosa, an Frau Weniger und die anderen. Was mit ihnen werden sollte, wusste ich nicht. Hauptsache überleben , dachte ich. Egal wie, egal wo.

1943 – 1945, New York, Amerika
    Wir waren da! In New York! New York!
    Natürlich war ich vor allem froh, in Sicherheit zu sein. Zugleich freute ich mich darauf, in einer Stadt gelandet zu sein, von der ich schon viel Aufregendes gehört hatte und die sehr interessant zu sein versprach. Freiheitsstatue, Museum of Modern Art, Manhattan, East River, Brooklyn Bridge, Central Park. All das war mir ein Begriff, hatte ich irgendwo schon einmal gehört. Gesehen hatte ich nichts von alledem. Das wird sich bestimmt bald ändern , dachte ich.
    Irrtum. Es änderte sich nicht. Ich wünschte mir Salomon herbei, der ja auch irgendwo in diesem gigantischen Moloch untergetaucht sein musste. Salomon würde mich in die Hand nehmen und mir alles zeigen, da war ich mir sicher. Mit ihm könnte ich New York bestimmt erleben. Mit Ronald nicht. Der kümmerte sich in New York genauso wenig um mich, wie er es in den letzten Tagen in Berlin getan hatte.
    Er braucht sich ja nicht unbedingt um mich kümmern, ging es mir durch den Kopf, aber mitnehmen hätte er mich schon können.
    Es war aussichtslos. Keine Chance.
    * * *
    Ich stand wieder auf derselben Kommode wie in Berlin und starrte in das Wohnzimmer, in dem Mr Donald abends manchmal Zeitung las oder Mrs Donald Radio hörte. Das versprach alles andere als spannend zu werden.
    Als ich mich innerlich schon auf ein paar langweilige Jahre eingerichtet hatte, erlebte das Wohnzimmer der Donalds plötzlich einen unerwarteten Auftrieb. Fast jeden Abend war richtig was los. Offenbar waren den Donalds die Zeitungs- und Radioabende selbst ein wenig zu langweilig. Sie luden ständig Leute ein, vor allem aus Europa. Vertriebene, Flüchtlinge, Emigranten, Exilanten. Und die kamen in Scharen. Es wurde geraucht, getrunken und diskutiert, an den Wochenenden bis in die Morgenstunden hinein. Nicht selten sah ich vor den Fenstern schon die Sonne aufgehen und an den Vorhängen vorbei frech ins Wohnzimmer blinzeln, als die Männer und Frauen noch

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