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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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das nicht so.«
    »Wie dann?«
    »Vergiss es!«, sagte Fred.
    »Wenn ihr was ausheckt, ich bin dabei!«, sagte Maya. »Hand drauf!«
    »Hand drauf!«
    »Hand drauf!«
    An manchen Abenden saßen die drei auf der Kastanie neben dem Pfarrhaus und sahen Pfarrer Mühlacker beim Fernsehgucken zu. Was da alles zu sehen war, verschlug manchmal sogar Maya den Atem.
    Aus dem Fensterspalt hörten sie jetzt einen aufgeregten Reporter, der so laut in ein Mikrofon schrie, als sollte die ganze Welt ihn auch ohne Mikrofon verstehen.
    »unruhen in Ostberlin! Nachdem es gestern schon zu Arbeitsniederlegungen kam, womit die Bauarbeiter gegen die Erhöhung der Arbeitsnorm durch die politische Führung demonstrierten, eskalierte heute, am 17. Juni, der Aufstand. Nicht nur in Ostberlin, auch in den größeren Städten in der gesamten DDR streiken und demonstrieren die Arbeiter für bessere Arbeitsbedingungen, für den Rücktritt der Regierung und für freie Wahlen. Die Zahl der Demonstrierenden stieg imLauf des Tages auf mehrere Hunderttausend im ganzen Land, sodass von den sowjetischen Behörden der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Sowjetische Soldaten prägen in Berlin das Stadtbild. Panzer sind aufgefahren. Es gab viele Verletzte und auch Tote.«
    Maya, Fred und Karl saßen nebeneinander auf dem Ast und starrten wie hypnotisiert auf die bewegten Bilder in Pfarrer Mühlackers Wohnzimmer, während Maya ab und zu »Wahnsinn« sagte und Fred und Karl dazu nickten.
    Ich musste dabei immer wieder an Lotte und ihren Großvater denken.
    Als Maya nach den Ferien zurück nach Essen fuhr, hatten Fred und Karl sich so an sie gewöhnt, dass sie traurig waren.
    »Nicht gleich weinen«, scherzte Maya am Bahnhof. »Ich komme ja nächstes Jahr wieder!«
    »Versprochen?«
    »Versprochen!«
    Fred und Karl standen neben Spint am Gleis. Sie winkten dem Zug und dem immer kleiner werdenden Kopf von Maya hinterher, der wie ein Fähnchen aus dem Fenster hing.
    * * *
    In Berkum gab es eine Kaserne. Nicht weit von der Kaserne entfernt standen – meist an den Wochenenden, nachdem die Sonne untergegangen war – leicht bekleidete Damen am Straßenrand. Wo diese Frauen herkamen, wusste niemand. Sie hießen Lolly oder Marylin oder Jin und sahen aus wie die jungen Frauen aus den Modemagazinen, die es im Kiosk am Bahnhof zu kaufen gab. Fred und Karl wussten das alles von den älteren Jungs aus dem Kinderheim. Die erzählten dieabenteuerlichsten Geschichten über Lolly und Marylin. Woher sie das alles wussten, war den Jüngeren ein Rätsel. Aber auch die Jüngeren wurden mit der Zeit älter und neugieriger. Fred und Karl ebenfalls. Sie wollten die »leichten Mädchen«, wie sie hinter vorgehaltener Hand genannt wurden, irgendwann nicht mehr nur vom Hörensagen kennen.
    »Nur mal ’n Blick drauf werfen, das wär nicht schlecht!«, sagte Karl.
    »Hm«, machte Fred.
    In diesem trockenen »Hm« schwang nicht nur Zustimmung mit, sondern auch eine erhebliche Portion Bedenken. Die Freunde wussten natürlich, dass das nicht einfach sein würde. Tagsüber standen die leichten Mädchen ja nicht an der Straße. Erst abends. Genauer gesagt, nachts. Und nachts war an Hausmeister Geyer nicht vorbeizukommen. Er saß in seinem Kabuff am Eingang und wachte mit Argusaugen darüber, dass niemand unbeobachtet das Heim verließ.
    »Wir müssen ihn überlisten!«
    Karl lachte. »Ja, nichts leichter als das. Knebeln, fesseln und die Augen verbinden, was?«
    Jetzt lachte auch Fred.
    »Irgendwie austricksen.«
    »Wie die Frau an der Kinokasse?«
    Fred bejahte.
    »Der olle Geyer ist nicht zu unterschätzen. An dem hat sich schon so mancher die Zähne ausgebissen.«
    »Und du weißt ja, was mit dem passiert, den er erwischt«, sagte Karl.
    Das wusste Fred nur zu genau. Alle wussten es. Deswegen wagte es ja auch kaum einer, sich nachts an dem ollen Geyervorbeizuschmuggeln. Niemand wollte sich die Gürtelhiebe auf den nackten Hintern oder den mehrtägigen Arrest im Keller bei Wasser und Brot einhandeln. Auch wenn die leichten Mädchen noch so lockten. Wie der olle Geyer auszutricksen wäre, fiel den Freunden trotz Kopfzerbrechen allerdings nicht ein.
    * * *
    »Karl, kommst du mal?«
    Die Oberin stand vor der Klasse. Karl war überrascht. Fred ebenfalls. Auch mir war die Situation nicht ganz geheuer. Wenn die Oberin einen der Schüler während des unterrichts aus dem Klassenzimmer holte, hatte das meist nichts Gutes zu bedeuten. Immerhin konnte es nicht um eine Bestrafung gehen, da Karl und

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