Der Ölhändler und die Blumenkönigin
Ölbehältern die Zeichen in groben und feinen Pinselstrichen gesehen hatte, sagte ihrer Herrin, daß jener Ölverkäufer Tjin hieße. Nun hatte diese auch schon sagen hören, daß ein Ölhändler Tjin sich durch große Ehrlichkeit und Gefälligkeit bei seinen Geschäften auszeichne. Sie ließ daher Tjin-Dschung sagen, sie brauche täglich Öl;wenn er sie damit versorgen wolle, würde sie dauernde Kundin bleiben. Da Tjin-Dschung also durch den Abschluß mit der alten Frau wieder ein gutes Geschäft gemacht hatte, nahm er sich vor, die neue Kundschaft nicht lässig zu bedienen. »Wenn ich nur wüßte,« sagte er, nachdem die Alte mit dem Mädchen wieder hineingegangen war, nachdenklich zu sich, »in welchem Verhältnis diese Frau zu jener schönen Dame steht! Da ich nun täglich Öl in dieses Haus bringen soll, werde ich – nicht zu reden von dem schönen Verdienst – mich auch an ihr sattsehen können. Wirklich ein Glück, das mir die Vorsehung bestimmt hat.« Er wollte gerade mit seiner Last weggehen, als er bemerkte, wie zwei Sänftenträger, welche eine Sänfte mit hellgrünseidenen Vorhängen trugen, in Begleitung zweier junger Diener im Laufschritt daherkamen. Vor der Tür jenes Hauses angekommen, setzten sie die Sänfte nieder, während die beiden Diener im Innern verschwanden. Tjin-Dschung sagte zu sich: »Das ist doch wieder merkwürdig! Ich muß mal sehen, wen sie da abholen.«
Schon nach kurzer Zeit erschienen zwei Dienerinnen, deren eine mit dem Blute des gelben Affen gefärbte Decken trug, während die andereeinen Besuchskasten aus rotlackiertem Bambus, der über und über mit Blumen in Lack verziert war, in den Händen hielt. Beides übergaben sie den Sänftenträgern, welche die Sachen unter den Sitz der Sänfte legten. Fast zu gleicher Zeit kamen die beiden Pagen mit einem Zitherbeutel und einigen Handrollen heraus, an deren Ende eine kostbare, mit grünem Jade verzierte Flöte hing, und folgten ehrerbietig der voranschreitenden jungen Schönen. Nachdem sie eingestiegen war, hoben die Sänftenträger an und entfernten sich in der Richtung nach der Großen Straße, indem die Dienerinnen und Knaben alle hinter der Sänfte zu Fuß einhergingen. –
Da Tjin-Dschung die schöne junge Dame wieder einmal hatte genau betrachten können, häuften sich in seinem Herzen die Zweifel und ungewissen Vermutungen. Kurz entschlossen warf er aber die Tragstange über die Schultern, nahm seine Ölbottiche und machte sich, immerhin befriedigt von dem, was er gesehen hatte, davon. Er war noch nicht lange gegangen, als ihn nahe am Fluß eine Reisweinschenke zur Einkehr lockte. Obwohl Tjin-Dschung gewöhnlich keinen Schnaps trank, setzte er doch heute, weil ihn der Anblick der schönen Dame freudig gestimmt,andererseits aber auch in eine gewisse Aufregung und Traurigkeit versetzt hatte, seine Ölfässer nieder, trat in die Schenke und setzte sich in eine Ecke. Der Kellner kam und fragte, ob er noch andere Gäste eingeladen habe, oder ob er allein trinke. Tjin-Dschung bejahte letzteres. »Bringen Sie nur vom besten. Aber nicht mehr als drei Schalen und dazu frische Früchte. Ich esse keine fetten Speisen.«
Als ihm der Kellner eingoß, fragte Tjin-Dschung: »Wer wohnt dort drüben hinter jener Mauer mit dem goldlackierten Tor?«
»Das ist Herrn Tjis Blumengarten«, antwortete der Kellner. »Jetzt wohnt dort eine Frau Wang Djiú-Ma.« »Eben sah ich«, fuhr Tjin-Dschung fort, »eine junge Dame in eine Sänfte steigen. Wer war das?«
»Ja, das ist eine berühmte Courtisane mit Namen Wang Meï-Niáng. Man nennt sie allgemein nur die ›Blumenkönigin‹. Sie ist aus Pi-Leáng, wurde aber damals hierher verschlagen. Sie kann die Flöte blasen, Zither spielen, dichten und tanzen, auch Schach spielen, schönschreiben und malen: und zwar alles meisterhaft! Mit ihr verkehren nur große Leute; denn unter zehn Taels für eine Nacht ist da nichts zu machen.Kleine Leute können natürlich gar nicht 'ran! Anfangs wohnten sie außerhalb des Yung-Tjin-Tores. Weil sich das Haus aber später als zu eng erwies, überließ ihnen ein Herr Tji, welcher mit ihnen sehr befreundet ist, vor einem halben Jahre diesen ›Blumengarten‹.«
Als Tjin-Dschung hörte, daß sie aus Pi-Leáng sei, überkamen ihn Heimatsgedanken, und eine seltsam-freudige Erregung – als ob er ihr nun näher stände – bemächtigte sich seiner. Rasch trank er die drei Becher, bezahlte und ging mit seiner Last davon, auf dem ganzen Wege die schönsten Zukunftspläne
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