Der Ölhändler und die Blumenkönigin
die schönen großen Ölfässer vorn in riesiger Schrift das Zeichen »Tjin« und hinten die Zeichen »Pi-Leáng« geschrieben, damit sie als Firmenschilder dienen und die Leuteauf ihn und seinen Namen aufmerksam machen sollen. Von nun an wußte man also auf den Märkten in Lin-An seinen eigentlichen Namen und nannte ihn allgemein den Ölhändler Tjin. –
Es war gerade im zweiten Monat, bei einem Wetter, das weder warm noch kalt genannt werden konnte, als die Priester des Dschao-Tjing-Tempels eine neun Tage und Nächte währende Andachtsübung abhalten wollten, zu welchem Zwecke sie sicher viel Öl brauchten. Sofort machte sich unser Tjin mit seinen Ölfässern, die er an einer über die Schulter gelegten Stange trug, nach dem Tempel auf, um dort vielleicht ein gutes Geschäft zu machen. Und die Priester des Dschao-Tjing-Tempels, welche den Ölhändler Tjin schon dem Namen nach kannten und wußten, daß sein Öl nicht nur besser, sondern auch billiger war als das der andern, kauften in der Tat nur von ihm allein, und zwar in solchen Mengen, daß er an allen neun Tagen ununterbrochen nur im Dschao-Tjing-Tempel zu tun hatte. Denn wer an allen Ecken und Enden immer noch etwas abschneidet, um seinen Kunden ja nichts zu schenken, der wird kein reicher Mann; und wer, ehrlich und freundlich, eheretwas mehr gibt als zu wenig, wird trotzdem nichts verlieren.
Am neunten und letzten Tage der Andachtsübung hatte Tjin-Dschung im Tempel wieder seinen ganzen Ölvorrat abgesetzt und trat leicht und frei hinaus in den Sonnenschein; denn das Wetter war heute wunderschön, und es wimmelte von Spaziergängern wie in einem Ameisenhaufen. Tjin-Dschung wandte sich dem Flusse zu, an dem er entlangging, und schaute nach dem Ufer der »Zehn Sehenswürdigkeiten« mit seinen roten Pfirsichbäumen und grünen Weiden hin. Auf dem See herrschte ein reges Treiben von bemalten Blumenbooten, und die Klänge von Flöten drangen zu ihm herüber. Entzückt ging er langsam hin und her und konnte sich nicht sattsehen an dem reizenden Schauspiel. Nachdem er so eine Zeitlang umhergestreift war, fühlte er sich etwas müde und ging wieder nach dem Dschao-Tjing-Tempel zurück, auf dessen rechter Seite sich ein geräumiger Platz befand. Dort ließ er seine Bürde nieder und setzte sich auf einen Stein, um seinen müden Füßen einige Ruhe zu gönnen. Nicht weit von ihm stand ein Haus, mit der Front nach dem See gerichtet, dessen goldlackierte, von Bambus umrahmte Türinnerhalb eines roten Rahmens eine Füllung von feinem Bambusgitterwerk aufwies. Wie aber die Hallen und die inneren Teile des Gebäudes beschaffen waren, konnte er noch nicht sehen. Zunächst fiel ihm die helle und elegante Türhalle auf, in der er plötzlich drei oder vier Männer in schönen Gewändern bemerkte, die aus dem Innern des Hauses getreten waren, und ein junges Mädchen dahinter, welches sie bis zur Tür begleitete. Dort schüttelte man sich zweimal die Hand und verbeugte sich einmal grüßend zum Abschied. Darauf verschwand das Mädchen wieder im Haus.
Tjin-Dschung hatte unverwandt auf diese junge Dame geschaut, deren Gestalt und Gesicht so zart und schön und deren Bewegungen von einer entzückenden Leichtigkeit und Anmut waren. Soviel Schönheit hatten seine Augen noch nicht gesehen, und obwohl der Gegenstand seiner Bewunderung schon längst verschwunden war, starrte er noch immer wie geistesabwesend auf die Stelle hin, bis sein Körper ganz steif wurde. Er war eben ein ganz unverdorbener Junge, der noch nicht wußte, daß es Freudenhäuser und dergleichen gebe. Trotz langen Nachdenkens konnte er mit sich nicht ins reine darüber kommen,was das wohl für ein Haus wäre. Da, während ihn gerade diese Zweifel quälten, sah er aus der Tür wieder eine ungefähr in der Mitte ihrer Jahre stehende Frau treten, begleitet von einer Dienerin, welche das Haar nach Kinderart in runden Büscheln auf dem Kopfe trug. Sie lehnte sich an die Tür und schaute müßig umher, während die Alte schon den Ölhändler erblickt hatte und überrascht ausrief: »Ah! Da ist ja gerade ein Ölverkäufer! Eben wollte ich mir welches kaufen! Weshalb sollen wir's nicht von ihm nehmen?« Das Dienstmädchen holte die Ölflasche und kam zu dem Händler heraus. Erst auf ihren Ruf: »Ölhändler –!« bemerkte sie Tjin-Dschung und erwiderte: »Ich habe kein Öl mehr. Wenn deine Herrin Bedarf hat, mag sie bis morgen warten, ich werde ihr's hinbringen.« Das Mädchen, welches auch etwas lesen konnte und auf den
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