Der Ölhändler und die Blumenkönigin
Immerhin empfand er lebhafte Freude über diese neue Kundschaft. »Sehe ich sie das erstemal nicht, so sehe ich sie das zweitemal; sehe ich sie das zweitemal nicht, dann das drittemal! – Nur ist es wieder eine faule Sache, wenn ich allein wegen der Frau Wang Djiú-Ma diesen weiten Weg mit meiner Last machen soll! Das wäre kein Geschäft! Aber halt! Von hier ist der Dschao-Tjing-Tempel bequem zu erreichen. Wenn sie heute dort auch keine Andachtsübung mehr abhalten, so können sie vielleicht doch etwas Öl brauchen. Ich gehe am besten hin und frage sie. Wenn es mir gelingt, jeden Klosterbruder zu meinem Kunden zu machen, brauche ich nur diesen Weg durch das Tjién-Tang-Tor zu gehen, und mein Ölvorrat wirdschon ausverkauft werden.« Als nun Tjin-Dschung im Tempel angekommen war und fragte, ob hier Bedarf an Öl sei, traf er es sehr gut; denn die Mönche hatten auch gerade an Tjin gedacht, der sie so gut bedient hatte, und kauften alle in größeren oder kleineren Mengen. Außerdem verabredete Tjin-Dschung mit jedem von ihnen, daß er alle zwei Tage wiederkommen könne. Da hatte er also zwei Fliegen auf einen Schlag! Jetzt brauchte er nur an den Tagen, die er noch frei hatte, in anderen Straßen und Gassen seinem Handel nachzugehen, an dem folgenden machte er dann jedesmal den Weg durch das Tjién-Tang-Tor. Sobald er nämlich dieses Tor hinter sich hatte, führte ihn sein Weg zunächst zu Frau Wangs Haus, wo er unter dem Vorwande, Öl zu verkaufen, seine Blumenkönigin sehen konnte. Manchmal glückte es ihm auch, aber manchmal nicht. Hatte er sie einmal nicht getroffen, verschwendete er eine Unmenge von Gedanken, und war er so glücklich gewesen, einen Blick von ihr zu erhaschen, ging es ihm nicht anders.
»Des Himmels Weiten, der Erde Zeiten, einst haben ein Ende,
Doch dieses Sehnen und dieses Lieben erschöpfen sich nimmer.«
Tjin-Dschung war nun schon oft bei Wang Djiú-Ma gewesen, so daß im Hause alle, groß und klein, den Ölhändler Tjin kannten.
Die Zeit vergeht schnell, und unbemerkt war über ein Jahr verflossen. Mochten die Einnahmen des Tages groß oder klein sein, immer hatte er Stückchen auf Stückchen klingenden Silbers gehäuft, manchmal drei Kandareens, manchmal zwei, und, wenn's gar sehr wenig wurde, einen. Sobald er mehrere beisammen hatte, wechselte er sie gegen ein großes Stück ein. Indem er so Tag für Tag und Monat für Monat sparte, war schon ein ansehnlicher Haufen daraus geworden, dessen Wert ihm selbst unbekannt war, da sein Schatz in so mühsamer Weise aus kleineren und größeren Stücken zusammengetragen war.
Eines Morgens – es war der Tag, an dem er nicht bei Frau Wang und im Kloster zu tun hatte, und es regnete in Strömen – beschloß er, nicht seinem Geschäfte nachzugehen. Er blieb also zu Hause, und wie er die große Menge Silber betrachtete, konnte er ein Gefühl der Freude nicht unterdrücken, das ihn darauf brachte, heute, wo er doch Muße hatte, sein Geld einmal wiegen zu lassen, um seinen zahlenmäßigenWert zu erfahren. Er nahm den Regenschirm aus geöltem Papier und ging in den Laden eines Silbergießers gegenüber, um eine Wage zum Austausch seiner Stücke gegen größere zu leihen. Der Silberschmied, ein mürrischer und unfreundlicher Mensch, welcher geringschätzig dachte: »Wieviel Geld kann denn so ein Ölhändler haben, daß er eine Wage braucht?« gab ihm nur eine für fünf Taels und äußerte noch Bedenken, daß er sie nicht benutzen könnte, weil sie wohl noch zu groß sei.
Tjin-Dschung öffnete, ohne ein Wort zu sagen, das Paket mit dem Silber, welches meistens kleine Münzen enthielt. Solche von der Größe eines »Schuhs« waren nur selten, dafür gab's aber um so mehr kleineres Geld. Der Silberschmied, einer von den »kleinen Leuten« mit sehr »seichten Augenhöhlen«, machte nun ein ander Gesicht, da er das viele Geld sah, und dachte bei sich: »Na ja, den Menschen kann man halt nie nach seinem Äußeren beurteilen, wie man das Meerwasser nicht mit Scheffeln messen kann.« Eilfertig gab er eine größere Wage her und langte sehr viele große und kleine Gewichte heraus, so daß Tjin-Dschung das ganze Paket wiegen konnte. Und siehe da: Alles zusammenmachte nicht einen Pfennig mehr und nicht einen Pfennig weniger als sechzehn Taels, oder – nach Warenwert gerechnet – ein Djin. Tjin-Dschungs erster Gedanke war jetzt: »Wenn ich die drei Taels Geschäftskapital abziehe und das übrige für eine ›Nacht unter den Blumen und Weiden‹ ausgebe, bleibt
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