Der Oligarch
sagte Korowin. »Er will sie abhaken.« Schamron erzählte seinem alten Freund nicht, dass er das schon wusste, weil die NSA so freundlich war, ihnen Mitschnitte aller Telefongespräche Charkows zur Verfügung zu stellen. Stattdessen versicherte er dem Russen, es gebe keinen Grund zur Sorge. Elena brauche etwas Zeit, um die Kinder – und sich selbst – auf die bevorstehende Trennung vorzubereiten. »Bestimmt kann selbst ein Monster wie Charkow verstehen, wie schwierig das für sie ist.« Was den Ablauf betraf, würde es keinerlei Änderungen geben: vierzehn Uhr Andrews, neun Uhr Konakowo, neun Uhr vor der israelischen Botschaft in Moskau. Kein Charkow – keine Kinder. Keine Chiara – kein sicherer Ort für russische Geheimdienstoffiziere auf der ganzen Welt mehr. »Und denken Sie daran, Sergeij – wir wollen auch Grigorij zurückhaben.«
Obwohl Schamron versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, war er nach diesem Pariser Treff ziemlich mitgenommen. Gabriels Schachzug hatte Iwan Charkow offensichtlich aus dem Gleichgewicht gebracht. Aber er witterte nun auch die Falle. Das Zeitfenster, das Gabriel nutzen konnte, würde nur wenige Minuten lang offen stehen. Sie würden rasch und entschlossen handeln müssen. Darüber sprach Schamron mit Gabriel, als sie am späten Dienstagabend in einer CIA-Limousine saßen, die im strömenden Regen auf dem Vorfeld des Flughafens Shannon stand.
Gabriels Reisetasche lag auf dem Sitz zwischen ihnen, und sein Blick war auf die riesige C-17-Globemaster gerichtet, die ihn bald nach Moskau bringen würde. Schamron rauchte – obwohl der CIA-Fahrer ihn wiederholt gebeten hatte, das nicht zu tun – und ging das gesamte Unternehmen nochmals durch. Gabriel hörte trotz seiner Erschöpfung geduldig zu. Diese Besprechung war für Schamron wichtiger als für ihn. Der Memuneh würde die folgenden achtundvierzig Stunden damit verbringen, die weitere Entwicklung hilflos aus dem CIA-Lageraum zu verfolgen. Dies war seine letzte Chance, Gabriel gute Ratschläge zu erteilen, und er nutzte sie, ohne sich dafür zu entschuldigen. Und Gabriel ließ es sich gefallen, weil er noch einmal die Stimme des Alten hören musste, bevor er an Bord dieser Maschine ging. Sie machte ihm Mut. Sie schenkte ihm Zuversicht. So konnte er glauben, dass das Unternehmen tatsächlich erfolgreich sein würde, obwohl die Vernunft ihm sagte, dass es zum Scheitern verdammt war.
»Und sobald du sie im Wagen hast, darfst du dich nicht mehr aufhalten lassen. Erschieß jeden, der sich dir in den Weg stellt. Und ich meine wirklich jeden. Die Leichen können wir später beseitigen. Das tun wir immer.«
In diesem Augenblick wurde an die Scheibe geklopft. Draußen stand ein Secret-Service-Agent, der Gabriel abholen sollte. Gabriel küsste Schamron auf die Wange und ermahnte ihn, nicht so viel zu rauchen. Dann stieg er aus und rannte durch den Regen zur Fluggasttreppe der C-17.
Jetzt war er ein Amerikaner, obwohl er nicht ganz wie einer sprach. Er hatte eine amerikanischen Reisetasche voll amerikanischer Kleidung. Ein amerikanisches Handy, in dem amerikanische Nummern gespeichert waren. Einen amerikanischen Black-Berry mit amerikanischen E-Mails. Außerdem hatte er einen zweiten PDA mit Sonderfunktionen, der jemand anderem gehörte. Einem Jungen aus dem Jezreel-Tal. Einem Jungen, der ein guter Maler hätte werden können, wenn es nicht die Terrororganisation »Schwarzer September« gegeben hätte. Heute Nacht existierte dieser Junge nicht. Er war ein verschollenes Gemälde. Jetzt war er Aaron Davis vom Vorauskommando des Weißen Hauses und konnte das mit allen möglichen Papieren beweisen. Er dachte amerikanische Gedanken, träumte amerikanische Träume. Er war ein Amerikaner, selbst wenn er nicht ganz wie einer sprach. Und selbst wenn er nicht einmal wie einer ging.
Wie sich zeigte, war nicht nur eine Präsidentenlimousine an Bord, sondern gleich zwei – und dazu drei gepanzerte Geländewagen. Kommandiert wurden die Secret-Service-Agenten von einer Frau; sie führte Gabriel zu einem Sitz mitten im Frachtraum und gab ihm einen Parka als Schutz gegen die Kälte an Bord. Zu seiner großen Überraschung konnte er sogar etwas dringend benötigten Schlaf nachholen, wobei einem Agenten auffiel, dass er sich genau in dem Augenblick bewegte, in dem die Maschine in den russischen Luftraum einflog. Eine Viertelstunde vor der Landung schreckte er hoch, und während die C-17 im Landeanflug war, dachte er an Chiara. Wie war sie nach
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