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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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saß. Sie sah nur das Kinn des Fahrers und zwei Hände, die ruhig das Lenkrad umfassten.
    Rimona hob ihr abhörsicheres Handy ans Ohr und hörte die Kakophonie der Operationsabteilung am King Saul Boulevard. Dann die Stimme des Wachhabenden, der dringend Informationen verlangte. »Das Flugzeug ist gelandet. Sagen Sie uns, ob sie da ist. Sagen Sie uns, was Sie sehen! « Rimona kam der Aufforderung nach. Sie sah einen Mercedes mit stark getönten Scheiben. Und sie sah ein Händepaar am Lenkrad. Und vor ihrem inneren Auge sah sie zwei Racheengel, die in einem Range Rover saßen. Zwei Racheengel, die dafür sorgen würden, dass die Hölle auf Erden losbrach, wenn Chiara nicht aus diesem Wagen ausstieg.

62 G ROSVENOR S QUARE , L ONDON
    Es gab keine Bilder, nur ferne Stimmen an abhörsicheren Telefonen und Kurzmeldungen, die auf riesigen Bildschirmen blinkten. Um 9.00 Uhr Moskauer Zeit sah Schamron, dass das Flugzeug mit den Kindern sicher gelandet war. Um 9.03 Uhr war zu sehen, dass Bodenpersonal und eine fahrbare Fluggasttreppe zu der Maschine unterwegs waren. Einige Sekunden später meldete der King Saul Boulevard ihm telefonisch, »Josua« – der interne Deckname für Gabriel und Michail – sei in Richtung Zielort abgefahren. Und um 9.04 Uhr hörte er von Adrian Carter, die vordere Kabinentür sei jetzt offen.
    »Wo ist Charkow?«
    »Aus dem Hubschrauber gestiegen.«
    »Ist er allein?«
    »Mit vollem Gefolge. Mit seiner Frau, den Muskelmännern und dem Gangster.«
    »Damit meinen Sie Oberst Rudenko?«
    Carter nickte. »Er telefoniert mit seinem Handy.«
    »Hoffentlich nicht mehr lange!«
    »Keine Sorge, Ari.«
    Schamron sah erneut auf die Wanduhr: 09:04:17. Er drückte den Telefonhörer ans Ohr und erkundigte sich beim King Saul Boulevard nach dem Mercedes, der vor dem Tor der Botschaft parkte. Der Wachhabende meldete, es gebe keine Änderung.
    »Vielleicht sollten wir die Sache forcieren«, sagte der Alte.
    »Wie denn, Boss?«
    »Die Frau dort draußen ist meine Nichte. Sagen Sie ihr, dass sie improvisieren soll.«
    Schamron hörte zu, wie der Wachhabende diesen Befehl weitergab. Dann las er auf einem Bildschirm die blinkenden Worte: KABINENTÜR OFFEN … MELDUNG …
    Sei vorsichtig, Rimona. Sei sehr vorsichtig.
     
    »Der Memuneh will, dass Sie die Sache forcieren.«
    »Hat der Memuneh auch einen Vorschlag, wie?«
    »Er schlägt vor, dass Sie improvisieren.«
    »Wirklich?«
    Danke, Onkel Ari.
    Rimona starrte den Mercedes an. Noch immer dasselbe Kinn. Dieselben Hände am Lenkrad. Aber jetzt waren die Finger in Bewegung. Sie trommelten einen nervösen Rhythmus.
    Er schlägt vor, dass Sie improvisieren …
    Aber wie? Bei ihren Einsatzbesprechungen hatte Uzi Navot einen wichtigen Punkt besonders hervorgehoben: Sie würden Charkow unter keinen Umständen Gelegenheit geben, einen weiteren Agenten des Diensts zu entführen, erst recht keine Agentin. Rimona sollte unbedingt auf dem Botschaftsgelände bleiben, weil sie sich dort theoretisch auf israelischem Boden befand. Nur war es leider unmöglich, binnen fünfzehn Sekunden eine Entscheidung zu erzwingen, während sie hinter dem Tor in Sicherheit blieb. Das konnte sie nur, wenn sie sich dem Wagen näherte. Und um das zu tun, musste sie Israel verlassen und Russland betreten. Sie sah auf ihre Uhr, dann wandte sie sich an einen der Schin-Beth-Sicherheitsbeamten.
    »Machen Sie das Tor auf.«
    »Wir haben Befehl, es geschlossen zu lassen.«
    »Wissen Sie, wer mein Onkel ist?«
    »Jeder weiß, wer Ihr Onkel ist, Rimona.«
    »Worauf warten Sie dann noch?«
    Der Sicherheitsbeamte gehorchte wortlos und folgte Rimona auf die Bolschaja Ordynka hinaus – mit gezogener Pistole, womit er gegen alle geschriebenen und ungeschriebenen Regeln diplomatischer Etikette verstieß. Rimona trat an die hintere Tür des Mercedes und klopfte an das dicke Panzerglas. Als eine Reaktion ausblieb, klopfte sie noch zwei Mal energisch dagegen. Daraufhin glitt die Scheibe nach unten. Keine Chiara, nur ein gut gekleideter Russe Ende zwanzig, der trotz des trüben Wetters eine Sonnenbrille trug. Er hielt zwei Dinge in den Händen: eine Makarow und einen Briefumschlag. Mit seiner Pistole hielt er den Schin-Beth-Mann in Schach. Den Umschlag übergab er Rimona. Dann fuhr der Wagen so ruckartig an, dass die Reifen auf dem vereisten Asphalt durchdrehten, und verschwand um die Ecke.
    Im ersten Augenblick wollte Rimona den Umschlag instinktiv fallen lassen. Stattdessen tastete sie ihn flüchtig ab und riss ihn

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