Der Oligarch
dann auf. Er enthielt einen Goldring, den Rimona sofort wiedererkannte. Sie hatte neben Gabriel gestanden, als er ihn bei einem Juwelier in Tel Aviv gekauft hatte. Und sie hatte auf der Terrasse ihres Onkels mit Blick über den See Genezareth gestanden, als Gabriel ihn Chiara an den Finger gesteckt hatte. Sie hob ihr abhörsicheres Handy ans Ohr und meldete der Operationsabteilung, was sich gerade ereignet hatte. Dann zog sie sich wieder auf die israelische Seite des Sicherheitstors zurück und las die auf der Innenseite des Eherings eingravierten Worte, während ihr Tränen übers Gesicht liefen.
AUF EWIG, GABRIEL.
Die Meldung aus der Botschaft bestätigte, was sie von Anfang an vermutet hatten: Charkow hatte nie vorgehabt, Chiara freizulassen. Schamron sprach sofort gelassen vier Worte auf Hebräisch: »Schickt Josua nach Kanaan.« Dann wandte er sich an Carter. »Es ist so weit.«
Carter hob seinen Telefonhörer ans Ohr. »Störsender einschalten! Und Charkow die Mitteilung übergeben.«
Schamron starrte die noch immer auf den Bildschirmen blinkende Meldung an. Sein Befehl hatte am King Saul Boulevard eine Eruption aus Stimmengewirr und Aktivitäten ausgelöst. Jetzt hörte er in diesem Chaos zwei vertraute Stimmen, beide nüchtern und emotionslos. Die erste gehörte Uzi Navot, der meldete, die Wachposten hinter der Datscha wirkten unruhig. Die zweite gehörte Gabriel. Josua sei dreißig Sekunden vom Ziel entfernt, meldete er. Josua werde gleich an die Tür des Teufels klopfen.
Weder Gabriel noch Schamron konnten sehen, wie schnell der Teufel die Geduld verlor. Er stand am Fuß der Fluggasttreppe, hatte seine Pranken in die Hüften gestemmt und wiegte sich wie ein Bär leicht vor und zurück. Erfahrene Beobachter Iwan Charkows hätten diese eigenartige Pose als eine der vielen erkannt, die er seinem Helden Stalin abgeschaut hatte. Sie hätten auch vorgeschlagen, dies sei ein guter Zeitpunkt, um in Deckung zu gehen, denn wenn Charkow so auf den Füßen wippte, stand meist eine Explosion bevor.
Der Grund für seine zunehmende Verärgerung war die Kabinentür der amerikanischen C-32. Seit über einer Minute war dort oben nichts mehr passiert, außer dass zwei schwer bewaffnete Männer in schwarzen Overalls erschienen waren. Sein Zorn erreichte neue Höhen, als Oleg Rudenko, der rechts neben ihm stand, ihm kurz nach 9.05 Uhr meldete, sein Handy scheine nicht mehr zu funktionieren. Rudenko führte das auf Störungen durch das Kommunikationssystem des Flugzeugs zurück, was teilweise richtig war. Aber bei Charkow, dem diese Erklärung zu simpel erschien, blieben deutliche Zweifel zurück.
Nun versuchte er einfach, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Er drängte sich an einem seiner Leibwächter vorbei, betrat die Fluggasttreppe und wollte zur Kabinentür hinaufsteigen. Auf der dritten Stufe erstarrte er jedoch, als einer der CIA-Agenten mit seiner kompakten Maschinenpistole auf ihn zielte und ihn in akzentfreiem Russisch zurückwies. Auf dem Vorfeld griffen Hände unter Mäntel, und die Männer auf dem Kontrollturm wollten später einige Waffen gesehen haben. Iwan Charkow gehorchte und zog sich zornig und gedemütigt an den Fuß der Treppe zurück.
Und dort blieb er zwei weitere angespannte Minuten stehen, mit in die Hüften gestemmten Armen, den Blick auf die Männer mit den MPs gerichtet, die Schulter an Schulter in der Tür der C-32 standen. Als sie schließlich zur Seite traten, sah Charkow nicht seine Kinder, sondern den Piloten, der ein zusammengefaltetes Blatt Papier in der Hand hielt. Er winkte einen Mann des russischen Bodenpersonals zu sich heran und bedeutete ihm, die Mitteilung dem wütend aussehenden Mann in dem englischen Wintermantel zu überbringen. Bis sie Charkow erreichte, war die Kabinentür wieder geschlossen und die beiden Triebwerke von Pratt & Whitney heulten auf. Als die C-32 zu rollen begann, bot sich den Leuten an Bord ein ungewöhnlicher Anblick: ein wütender Iwan Charkow – Oligarch, Waffenhändler, Mörder und zweifacher Vater –, der die Mitteilung zusammenknüllte und zu Boden warf.
Ein anderer hätte sich jetzt vielleicht geschlagen gegeben. Nicht jedoch Charkow. Tatsächlich sah die Besatzung noch, wie er Oleg Rudenko das Handy wegriss und gegen das Flugzeug warf. Es prallte chancenlos von der Rumpfunterseite ab und zersplitterte auf dem Asphalt in hundert Stücke. Einige wenige Besatzungsmitglieder lachten. Wer jedoch wusste, was kommen würde, tat es nicht.
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