Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
verschafft.«
    »Wie wird sie bewacht?«
    »Genau wie Grigorij. Sie hatte ein paar Monate lang Leibwächter, aber dann hat sie uns gebeten, sie abzuziehen. Sie hat einen Führungsoffizier, den sie täglich anrufen muss. Wir hören ihr Telefon ab und beschatten sie gelegentlich, um uns zu vergewissern, dass sie nicht überwacht wird und sich anständig beträgt.«
    »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn sie morgen nicht beschattet würde. Und ich auch nicht.«
    » Sie sind nicht mal hier. Was Miss Tschesnikowa betrifft, werde ich ihr Ihren Besuch ankündigen. Enttäuschen Sie mich nicht.« Er klopfte Gabriel mahnend auf die Schulter und wollte die Horseferry Road allein überqueren.
    »Was für ein Wagen war das?«
    Seymour drehte sich um. »Welcher Wagen?«
    »Der die Frau von Maida Vale zur Edgware Road gebracht hat?«
    »Ein Vauxhall Insignia.«
    »Farbe?«
    »Sie heißt Meteo Blue, glaube ich.«
    »Schrägheck?«
    »Nein, eine Limousine. Vergessen Sie nicht, morgen Abend im letzten Zug nach Paris zu sitzen.«
    »Neunzehn Uhr neununddreißig. Pünktlich.«

16 O XFORD
    Der Wind brauste von Nordwesten heran – durch das Tal, in dem Evesham lag, und die Hänge der Cotswold Hills herab. Er heulte an den Geschäften in der Cornmarket Street vorbei, pfiff um den viereckigen Hof des Christ-Church-College, das Peckwater Quadrangle, und belagerte die Stechkähne, die unter der Magdalen Bridge zusammengelascht lagen. Gabriel blieb kurz stehen, um dieses Sinnbild eines längst nicht mehr existierenden Englands zu betrachten, und ging dann über The Plain zur Cowley Road weiter.
    Oxford, das wusste er von seinem letzten Besuch, bestand in Wirklichkeit aus zwei Städten: einer akademischen Zitadelle aus Colleges und Türmen aus Kalkstein am Westufer des Flusses Cherwell und einer Industriestadt mit Klinkerbauten am Ostufer. Im Stadtteil Cowley hatte der junge Fahrradfabrikant William Morris 1913 seine erste Automobilfabrik eröffnet und Oxford damit in eine wichtige englische Industriestadt verwandelt. Trotz aller Bemühungen, ein Arbeiterviertel zu bleiben, war Cowley inzwischen zu einem lebhaften Künstlerviertel mit Shops, Cafés und Nachtclubs umgestaltet worden. Zwischen Einwanderern aus Pakistan, China, der Karibik und Afrika fanden Studenten und Dozenten Unterkunft in den beengten Häusern. Außerdem beherbergte dieser Stadtteil nicht wenige Neuankömmlinge aus den postkommunistischen Staaten Osteuropas. Als Gabriel an einem Naturkostladen vorbeikam, hörte er zwei Frauen auf Russisch miteinander diskutieren, während sie die Tomaten begutachteten.
    An der Ecke Jeune Street mühte sich eine ältere Frau vergeblich damit ab, den Vorplatz der Methodistenkirche zu kehren, während die Enden ihres Schals wie Banner im Wind flatterten. Neben dem Kirchenportal verkündete ein blau-weißes Schild: DIE ERDE GEHÖRT DEM HERRN: WIR DÜRFEN UNS IHRER ERFREUEN, SIE BESTELLEN UND SCHÜTZEN. Gabriel ging eine Straße weiter zur Rectory Road und bog um die Ecke.
    Die abfallende Straße verlief in einer leichten Linkskurve, sodass nicht zu sehen war, wohin sie führte. Gabriel folgte ihr bis zum Ende und hielt dabei Ausschau nach Beschattern. Als er keine entdecken konnte, ging er zum Haus Nummer 24 zurück. Parallel zum Gehsteig verlief dort eine niedrige Ziegelmauer, aus deren Fugen Unkraut spross. Hinter dieser Mauer lag eine kleine Kiesfläche, auf der eine große grüne Mülltonne stand. An der Tonne lehnte ein abgesperrtes Damenfahrrad mit einer Plastiktüte über dem Sattel. Ein kurzer Fußweg führte zur Haustür, von der die Farbe abblätterte. Die Klingel funktionierte anscheinend nicht, denn als Gabriel auf den Knopf drückte, war nichts zu hören. Erst nachdem er drei Mal energisch an die Tür geklopft hatte, waren in der Diele Schritte zu hören. Dann die Stimme einer Frau, die mit unüberhörbar russischem Akzent sprach.
    »Wer ist dort, bitte?«
    »Natan Golani. Wir waren letzten Sommer Tischnachbarn bei einem Abendessen in der israelischen Botschaft. Als Sie auf eine Zigarette auf die Terrasse hinausgegangen sind, haben wir uns kurz unterhalten. Sie haben mir erzählt, die Russen könnten nicht wie normale Menschen leben und würden es niemals können.«
    Gabriel hörte eine Sicherheitskette klirren und beobachtete, wie die Haustür langsam aufging. Die Frau in der winzigen Diele hielt eine Siamkatze auf dem Arm, deren leuchtend blaue Augen ihren eigenen ähnelten. Sie trug einen engen schwarzen Pullover, eine anthrazitgraue

Weitere Kostenlose Bücher