Der Oligarch
einer Generation ist, hat er eine ganz ordentliche Figur gemacht. Und wir hatten zur Abwechslung mal eine gute Nachricht für ihn.«
»Nämlich?«
»Netter Versuch.«
»Kommen Sie, Graham.« Gabriel sah zur Fassade der Abtei hinüber. »Nach allem, was wir gemeinsam erlebt haben.«
Seymour schwieg einige Sekunden lang. »Ein schrecklicher Tag, nicht wahr? Ich werde nie vergessen, wie Sie damals …«
»Ich erinnere mich, Graham. Ich war dabei.«
Seymour stopfte sich die Enden seines Wollschals in den Mantel. »In diesem Augenblick nimmt die Metropolitan Police in East London zahlreiche Verhaftungen vor.«
»East London? Dann hat sie es wohl nicht auf Russen abgesehen.«
»Nein, auf eine al-Qaida-Zelle, die wir seit Längerem observieren. Brandgefährliche Leute. Ihr Plan, Anschläge auf Großbanken und Touristenziele zu verüben, war schon fast fertig ausgearbeitet. Dabei hätte es viele Tote geben können.«
»Wann wollen Sie die Verhaftungen bekannt geben?«
»Der Premierminister will heute Abend selbst vor die Kameras treten – genau rechtzeitig zu den News At Ten. Seine Berater hoffen, dass das seine katastrophalen Umfragewerte etwas hebt.« Seymour sah auf seine Uhr. »Ich muss ins Thames House zurück. Begleiten Sie mich?«
Die beiden Männer standen wie auf ein Zeichen auf und gingen über den Platz in Richtung Parlamentsgebäude davon. Sie bildeten ein ungleiches Paar: Gabriel in Jeans und Lederjacke, Seymour in Maßanzug und elegantem Mantel.
»Ich muss Ihnen ein Kompliment machen, Gabriel. Auf Ihr Drängen hin haben wir etwas tiefer gegraben und CCTV-Aufnahmen aus den umliegenden Straßen ausgewertet. Das Paar, das um drei Minuten nach sechs die Westbourne Terrace Road Bridge überquert hat, ist in einer ruhigen Seitenstraße in ein Auto gestiegen. Das hat sie zur Edgware Road gebracht, wo die Frau allein ausgestiegen ist. Unterwegs hat sie den Mantel gewechselt.« Seymour warf Gabriel einen anerkennenden Blick zu. »Darf ich fragen, was Ihr Misstrauen gegen sie geweckt hat?«
»Ihr Schirm.«
»Aber sie hatte keinen.«
»Genau. Es hat leicht geregnet, aber die Frau hatte keinen Schirm. Sie musste beide Hände frei haben.« Gabriel sah Seymour von der Seite an. »Leute wie ich tragen keine Schirme, Graham.«
»Attentäter, meinen Sie?«
Gabriel antwortete nicht direkt. »Wäre Grigorij nicht in den Mercedes gestiegen, hätte die Frau ihn vermutlich auf der Stelle erschossen. Darauf wollte er es wahrscheinlich nicht ankommen lassen, denke ich. Lieber ein verschwundener Überläufer als ein toter.«
»Was ist Ihnen sonst an ihr aufgefallen?«
»Sie hat sich nicht die Mühe gemacht, die Schuhe zu wechseln. Dafür war vermutlich keine Zeit.«
»Was würde ich nicht für Ihr Auge geben!«
»Berufskrankheit.«
»Welcher Beruf?«
Gabriel lächelte nur. Sie hatten das Südende des Parlamentsgebäudes erreicht und folgten dem Rand der Victoria Tower Gardens. Vor ihnen ragte in einiger Entfernung die massive graue Fassade des Thames House auf. Seymour schien es plötzlich nicht mehr eilig zu haben, in sein Büro zurückzukommen.
»Ihre Entdeckung stürzt mich in ein ziemliches Dilemma. Wenn ich dem Generaldirektor davon berichte, kommt es zu Hauen und Stechen zwischen den Sicherheitsdiensten. Dann werde ich als Ketzer gebrandmarkt. Und Sie wissen ja, was wir mit Ketzern machen.«
»Ich möchte, dass Sie überhaupt nichts sagen, Graham.« Gabriel machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Nicht bevor ich Gelegenheit gehabt habe, mit Olga zu sprechen.«
»Das kommt leider nicht infrage. Mein GD würde meinen Kopf auf einen Spieß stecken lassen, wenn er wüsste, wie viele Informationen Sie schon bekommen haben. Ihre Beteiligung an dieser Sache ist ab sofort beendet. Wenn Sie sich beeilen, können Sie sogar noch Ihre Sachen packen und den letzten Eurostar nach Paris erwischen. Er fährt um Punkt 19.39 Uhr ab.«
»Ich muss mit ihr reden, Graham. Nur ein paar Minuten.«
Seymour machte Halt und starrte auf die Lichter im obersten Stockwerk des Thames House. »Wieso weiß ich, dass ich das bereuen werde?« Er sah Gabriel an. »Sie haben vierundzwanzig Stunden. Dann will ich, dass Sie aus England verschwunden sind.«
Gabriel hob stumm die Hand zum Schwur.
»Sie hält sich in Oxford auf der schäbigen Seite der Magdalen Bridge versteckt. Rectory Road Nummer 24. Lebt dort unter dem Namen Marina Tschesnikowa. Wir haben ihr einen Job als Tutorin für russischsprachige Studenten an der Universität
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