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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Rusoil übernommen hatte. Das Wirtschaftsmagazin Fortune erklärte Wiktor Orlow zum reichsten Mann Russlands und zu einem der einflussreichsten Geschäftsmänner der Welt. Kein schlechtes Zeugnis für einen ehemals beim Staat angestellten Physiker, der sich einst eine Gemeinschaftswohnung mit zwei russischen Familien hatte teilen müssen.
    In der turbulenten Welt des von Raubrittertum geprägten russischen Neokapitalismus konnte ein Riesenvermögen wie das Orlows auch gefährlich sein. Schnell zusammengeraffte Milliarden konnten sich von einem Augenblick zum nächsten in Luft auflösen. Und sie konnten seinen Besitzer und dessen Familie zur Zielscheibe von Neid, manchmal auch von Gewalt machen. Orlow hatte mindestens drei Attentatsversuche überlebt und hatte angeblich in einem Fall aus Rache die Ermordung mehrerer Männer befohlen. Aber die größte Gefahr für sein Vermögen kam nicht von Leuten, die ihm nach dem Leben trachteten, sondern aus dem Kreml. Der russische Präsident fand, Männer wie Orlow hätten sich die wertvollsten Ressourcen des Landes angeeignet, und war entschlossen, sie ihnen wieder abzunehmen.
    Kurz nachdem der Präsident an die Macht gelangt war, zitierte er Orlow in den Kreml und verlangte zwei Dinge: seine Stahlwerke und Rusoil. »Und stecken Sie Ihre Nase nicht in die Politik«, fügte er hinzu. »Sonst schneide ich sie Ihnen ab.« Orlow erklärte sich bereit, die Stahlwerke abzugeben, wollte aber Rusoil behalten. Das passte dem Präsidenten ganz und gar nicht. Er veranlasste sofort, dass gegen Orlow wegen Betrugs, Unterschlagung und Bestechung ermittelt wurde, und die Staatsanwaltschaft erwirkte binnen einer Woche einen Haftbefehl. Orlow setzte sich klugerweise nach London ab. Obwohl Russland seine Auslieferung beantragt hatte, blieb er auf dem Papier Mehrheitsaktionär von Rusoil und war damit zwölf Milliarden Dollar schwer. Aber seine Vermögenswerte waren zum größten Teil eingefroren und weder für Orlow noch für den russischen Präsidenten, der sie zurückforderte, verfügbar.
    Zu Beginn von Orlows Exil hatten die Medien noch an seinen Lippen gehangen. Als verlässliche Quelle für spektakuläre Informationen über die Durchtriebenheit des Kremls konnte er binnen einer Stunde einen Saal mit Journalisten füllen. Aber inzwischen hatten die britischen Medien Orlow ebenso satt wie die britische Öffentlichkeit die Russen im Allgemeinen. Nur wenige interessierte noch, was er zu sagen hatte, und noch weniger Menschen brachten die Zeit oder die Geduld dazu auf, sich seine Tiraden gegen seinen Erzfeind, den russischen Präsidenten, anzuhören. Deshalb war es für Gabriel und sein Team keine Überraschung, dass Orlow sofort bereit war, Olga Schukowa – ehemals kritische Journalistin bei der Moskowskaja Gaseta, jetzt selbst Exilantin – ein Interview zu geben. Um ihrer beider Sicherheit zu gewährleisten, schlug sie vor, ihn abends in seinem Haus zu interviewen. Orlow, ledig und ein unverbesserlicher Schürzenjäger, schlug seinerseits vor, sie solle gegen 19 Uhr kommen. »Aber kommen Sie bitte allein«, fügte er hinzu, bevor er auflegte.
    Sie kam tatsächlich um 19 Uhr, aber keineswegs ganz allein. Das Hausmädchen nahm ihr den Mantel ab und führte sie in Orlows Arbeitszimmer im ersten Stock, wo der Hausherr sie mit einem russischen Wortschwall überschwänglich begrüßte. Graham Seymour und Gabriel hörten durch ihre Kopfhörer eine Simultanübersetzung.
    »Wie ich mich freue, Sie nach so vielen Jahren wiederzusehen, Olga! Darf ich Ihnen einen Tee anbieten – oder möchten Sie lieber etwas Stärkeres?«

41 C HELSEA , L ONDON
    »Tee wäre schön, danke.«
    Orlow machte sich nicht die Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Er hatte sicher gehofft, Olga mit ein oder zwei Flaschen seines Château Pétrus, den er wie Wasser trank, beeindrucken zu können. Nachdem er beim Hausmädchen Tee und Biskuits bestellt hatte, beobachtete er sichtlich befriedigt, wie Olga vorgab, sein riesiges Arbeitszimmer zu bewundern. Es hieß, dass Orlow bei seinem ersten Besuch im Buckinghampalast so beeindruckt gewesen war, dass er sein Heer von Innenarchitekten angewiesen hatte, dessen Flair am Cheyne Walk zu imitieren. Dieser Raum – drei Mal größer als Olgas ehemalige Moskauer Wohnung – war angeblich dem Arbeitszimmer der Königin nachempfunden.
    Während Olga einen eher langweiligen Rundgang absolvierte, musste sie unwillkürlich daran denken, wie sehr sich ihr Leben von dem Orlows unterschied.

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