Der Oligarch
sehr dankbar, wenn das so bliebe.«
»Ich will sehen, was ich tun kann. Wie Sie wissen, ist Charkow über die gegenwärtige Situation sehr aufgebracht.«
»Die hat er ganz allein zu verantworten.«
»Charkow sieht das nicht so. Er hält die Anschuldigungen und Anklagen des Westens für Lügen und Erfindungen. Er wäre niemals so töricht gewesen, sich darauf einzulassen, die al-Qaida mit unseren Raketen zu beliefern. Er hat mir sogar persönlich versichert, er sei überhaupt nicht im Waffenhandel tätig.«
»Ich werde daran denken, diese Information an die Amerikaner weiterzugeben.«
»Es gibt noch etwas anderes, das Sie ebenfalls weitergeben sollten.«
»Was immer Sie wünschen, Sergeij.«
»Nach Charkows Überzeugung sind seine Kinder ihm letztes Jahr in Frankreich illegal entzogen worden. Er will sie zurückhaben.«
Schamron zuckte scheinbar überrascht mit den Schultern. »Ich wusste gar nicht, dass die Amerikaner sie haben.«
»Wir glauben, dass das trotz aller offiziellen Dementis der Fall ist. Vielleicht könnte jemand bei den Amerikanern ein gutes Wort für Charkow einlegen.« Jetzt war Korowin an der Reihe, mit den Schultern zu zucken. »Ich kann nichts garantieren, aber das könnte vermutlich viel dazu beitragen, dass Sie Ihre verschwundene Agentin wiederbekommen.«
Damit hatte Korowin einen weiteren Schritt in eine Richtung getan, die zu einem Tauschhandel führen würde. Schamron entschied sich zunächst für Ausflüchte.
»Unser Dienst ist keinesfalls so groß wie Ihrer, Sergeij. Wir sind eine kleine Familie. Wir wollen unsere Agentin zurückhaben und sind bereit, dafür zu tun, was wir können. Aber wir haben sehr wenig Einfluss auf die Amerikaner. Sollten diese die Kinder wirklich haben, ist es – selbst unter diesen Umständen – unwahrscheinlich, dass sie bereit wären, sie Charkow zurückzugeben.«
»Sie stellen Ihr Licht unter den Scheffel, Ari. Reden Sie mit den Amerikanern. Bringen Sie sie zur Vernunft. Sorgen Sie dafür, dass sie Charkows Kinder in ein Flugzeug setzen. Sobald sie in Russland eintreffen, wo sie hingehören, taucht bestimmt auch Ihre Agentin wieder auf.«
Korowin hatte einen Vertrag auf den Tisch gelegt. Schamron prüfte ihn pflichtbewusst.
»Lebendig und unverletzt?«
»Lebendig und unverletzt.«
»Aber das ist noch nicht alles, Sergeij. Wir wollen auch Grigorij Bulganow zurückhaben.«
»Grigorij Bulganow geht Sie nichts an.«
Schamron zuckte mit den Schultern. »Gesetzt den Fall, ich kann die Amerikaner dazu überreden, die Kinder zu überstellen – wie viel Zeit hätten wir, um alles Nötige zu veranlassen?«
»Das kann ich nicht sicher sagen – aber nicht unendlich lange.«
»Ich muss es genau wissen, Sergeij.«
»Meine Antwort wäre rein hypothetischer Natur.«
»Also gut, dann antworten Sie hypothetisch: Wie viel Zeit haben wir?«
Korowin nippte an seinem Wodka, dann sagte er: »Zweiundsiebzig Stunden.«
»Das ist nicht lange, Sergeij.«
»Daran kann ich nichts ändern.«
»Wie kann ich Sie erreichen?«
»Überhaupt nicht. Wir treffen uns am Dienstag um sechzehn Uhr wieder. Unter Freunden möchte ich Ihnen dringend raten, bis dahin eine Antwort zu haben.«
»Wo treffen wir uns?«
»Darf man im Tuileriengarten noch rauchen?«
»Vorerst noch.«
»Gut, dann treffen wir uns dort. Auf einer der Bänke vor dem Jeu de Paume.«
»Sechzehn Uhr?«
Korowin nickte.
44 H OTEL B RISTOL , G ENF
Die Nachricht aus Paris wurde sofort an drei Orte auf verschiedenen Kontinenten weitergeleitet: zur Operationsabteilung am King Saul Boulevard in Tel Aviv, zum Thames House in London und zur CIA-Zentrale in Langley. Und außerdem in das vornehme Hotel Bristol in Genf, in dem sich Gabriel und sein Team einquartiert hatten. Obwohl alle sehr erleichtert waren, als sie hörten, dass Chiara noch lebte, herrschte keine Feierlaune. Natürlich waren Iwan Charkows Bedingungen unannehmbar. Sie waren für Schamron unannehmbar, für die Amerikaner und vor allem für Gabriel. Niemand war bereit, von Elena Charkowa zu verlangen, sie solle ihre Kinder hergeben – am wenigsten der Mann, der einst selbst eines verloren hatte. Trotzdem erfüllte Charkows Angebot einen wertvollen Zweck: Es ließ ihnen etwas mehr Zeit und größeren Spielraum. Insgesamt natürlich nicht allzu viel Zeit, nur zweiundsiebzig Stunden, und nur sehr wenig Raum. Sie würden versuchen müssen, Chiara und Grigorij auf parallelen Pfaden aufzuspüren. Einer war der Verhandlungsweg, der andere der Weg der
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