Der Oligarch
habe, nach Paris zu kommen. Tatsächlich, sagte die Stimme, sei es sehr ratsam, dass Schamron eine Möglichkeit fände, den Neun-Uhr-Flug vom Flughafen Ben-Gurion zu nehmen. Ja, sagte die Stimme, die Angelegenheit sei sehr dringend. Nein, sie könne nicht warten. Schamron legte den Hörer auf und knipste die Nachttischlampe an. Gilah stand auf, um Kaffee zu kochen.
Charkow hatte seinen Abgesandten sorgfältig ausgesucht. In der Branche gab es nur wenige, die dienstälter als Ari Schamron waren; Sergeij Korowin gehörte zu ihnen. Nachdem er die fünfziger Jahre in Europa verbracht hatte, ließ der KGB ihn Arabisch lernen und schickte ihn als Unruhestifter in den Nahen Osten. Er arbeitete zuerst in Bagdad, dann in Damaskus, anschließend in Tripolis und zuletzt in Kairo. Schamrons und Korowins Wege kreuzten sich erstmals in dem hektischen Sommer des Jahres 1973. In Europa war das Unternehmen »Zorn Gottes« in vollem Gange, die Terroristen des Schwarzen September ermordeten Israelis, wo sie nur konnten, und allein Schamron war davon überzeugt, dass die Ägypter einen Krieg vorbereiteten. Das meldete ihm sein Spion in Kairo – ein Spion, der daraufhin vom ägyptischen Geheimdienst verhaftet wurde. Wenige Stunden vor seiner Hinrichtung wandte sich Schamron an Korowin und bat ihn zu intervenieren. Nach wochenlangen Verhandlungen durfte Schamrons Spion auf dem Berg Sinai durch die israelischen Linien torkeln. Er war schwer misshandelt worden, aber er lebte. Einen Monat später, als sich Israel auf den Feiertag Jom Kippur vorbereitete, starteten die Ägypter ihren Überraschungsangriff.
Mitte der siebziger Jahre war Sergeij Korowin wieder in Paris und machte im KGB stetig Karriere. Nach der Beförderung zum General leitete er die für die arabische Welt zuständige Abteilung 18 und später die Verwaltung R für Einsatzplanung und -analyse. Im Jahr 1984 wurde er Chef der Ersten Hauptverwaltung und blieb in dieser Position, bis Boris Jelzin den KGB auflöste. Hätte sich die Gelegenheit geboten, hätte Korowin den russischen Präsidenten wohl eigenhändig umgebracht. Stattdessen verbrannte er seine brisantesten Unterlagen und zog sich unauffällig in den Ruhestand zurück. Aber Schamron wusste besser als jeder andere, dass es diesen eigentlich gar nicht gab – vor allem nicht für Russen. In der Bruderschaft von Schwert und Schild gab es eine Redensart: Einmal Tschekist, immer Tschekist. Nur als Toter war man wahrhaft frei. Und manchmal nicht einmal dann.
Schamron und Korowin waren über die Jahre hinweg in Verbindung geblieben. Sie hatten sich von Zeit zu Zeit getroffen, um sich Neuigkeiten zu berichten, Informationen auszutauschen und einander gelegentlich einen Gefallen zu tun. Sie als Freunde zu bezeichnen, wäre falsch gewesen – sie waren eher Seelenverwandte. Sie kannten die Spielregeln ihrer Branche und teilten einen gesunden Zynismus in Bezug auf die Männer, denen sie dienten. Korowin gehörte daneben zu den wenigen Leuten, die mit Schamrons Nikotinkonsum Schritt halten konnten. Und wie Schamron hatte er wenig für triviale Dinge wie Essen, Mode oder gar Geld übrig. »Schade, dass Sergeij kein Israeli ist«, hatte Schamron Gabriel einst erklärt. »Ich hätte ihn gern auf unserer Seite gehabt.«
Schamron wusste, dass die Zeit es mit russischen Männern oft nicht gut meinte. Sie tendierten dazu, über Nacht zu altern – eben noch jung und voller Kraft, im nächsten Augenblick alt und voller Falten. Aber der Mann, der an diesem Nachmittag kurz nach 15 Uhr den Salon des Hôtel de Crillon betrat, war noch immer eine große, aufrechte Gestalt. Zwei Leibwächter folgten ihm bedächtig, zwei weitere waren schon vor einer Stunde gekommen und saßen nicht weit von Schamron entfernt. Sie tranken Tee, Schamron hatte Mineralwasser vor sich. Rami hatte die Flasche selbst mitgebracht, den Barkeeper angewiesen, sie nicht zu öffnen, und saubere Gläser verlangt. Trotzdem hatte Schamron das Wasser noch nicht angerührt. Er trug seinen dunklen Anzug mit einer teuren Seidenkrawatte – Schamron, der zwielichtige Geschäftsmann, der gut Bakkarat spielte.
Wie Schamron konnte Sergeij Korowin über wichtige Dinge in mehreren Sprachen diskutieren. Bei den meisten Treffen hatten sie Deutsch gesprochen, und diese Sprache benutzten sie auch heute. Sobald Korowin in einem Sessel Platz genommen hatte, klappte er sein silbernes Zigarettenetui auf. Schamron musste ihn daran erinnern, dass hier nicht mehr geraucht werden durfte.
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