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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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üblich ließen sie sich beim Cognac Zeit, sodass es elf Uhr war, als sie Händchen haltend in den großen Audi stiegen, der vor dem alten Arsenal parkte. Alle Anzeichen deuteten auf eine leidenschaftliche Nacht in Tschernows Wohnung nahe der Kathedrale. Dazu wäre es wohl auch gekommen, wäre nicht die junge Frau gewesen, die dem Paar in der Nähe des Hauseingangs auflauerte.
    Sie hatte ein Gesicht wie aus Alabaster und trug trotz der Kälte einen Minirock, dazu Netzstrümpfe und eine modisch knappe Lederjacke. Wäre ihr Make-up nicht von Tränen verschmiert gewesen, hätte man sie wahrscheinlich als sehr hübsch bezeichnet. Das hinten aus dem Audi steigende Paar achtete zunächst nicht weiter auf sie. Eine Stricherin, dachten die beiden vermutlich. Ein Straßenmädchen. Vielleicht eine Drogensüchtige. Jedenfalls keine Bedrohung für einen Mann wie Wladimir Tschernow. Schließlich war er einer der Leibwächter des letzten Führers der Sowjetunion gewesen. Tschernow wurde mit allem fertig. Zumindest glaubte er das.
    Ihre Stimme klang anfangs kindlich klagend. Sie sprach Tschernow mit seinem Vornamen an, was ihn sichtlich schockierte, und warf ihm vor, ihr übel mitgespielt zu haben. Er habe ihr ewige Liebe geschworen, sagte sie. Er habe ihr eine glänzende Zukunft versprochen. Er habe ihr zugesichert, für das Kind zu sorgen, das sie jetzt allein durchbringen müsse. Während Ludmilla sichtlich kochte, versuchte Tschernow der Frau zu erklären, sie verwechsle ihn offenbar mit einem anderen. Das brachte ihm eine kräftige Ohrfeige ein, die seine Leibwächter zum Eingreifen zwang.
    Das daraus entstehende Handgemenge dauerte exakt siebenundzwanzig Sekunden. Es wurde auf Video aufgezeichnet und dient noch heute als Lehrfilm. Hervorzuheben ist, dass Tschernows russische Leibwächter anfangs bewundernswert zurückhaltend agierten. Sie versuchten nur, die verwirrte junge Frau, die erkennbar unter Wahnvorstellungen litt, sanft unter Kontrolle zu bringen und wegzuführen. Ihre Reaktion – zwei kräftige Tritte gegen die Schienbeine der Männer – trug jedoch dazu bei, dass die Situation eskalierte. Sie verschärfte sich noch, als zufällig vier Herrn die ruhige Straße entlangkamen. Der Größte von ihnen, ein breitschultriger rotblonder Mann, mischte sich zuerst ein, ihm folgte ein Schwarzhaariger mit pockennarbigem Gesicht. Worte wurden gewechselt, Drohungen ausgestoßen, und zuletzt flogen die Fäuste. Aber es waren nicht die wilden, wenig wirksamen Boxhiebe von Amateuren. Die Hiebe waren knapp und brutal, von der Sorte, die bleibende Schäden hinterlassen kann. Oder unter Umständen gar augenblicklich zum Tod führt.
    Ein sofortiger Tod war jedoch nicht ihr Ziel, und die vier Herren mäßigten sich so weit, dass sie ihre Opfer nur bewusstlos schlugen. Sobald die Leibwächter außer Gefecht gesetzt waren, sprangen plötzlich die Motoren zweier geparkter Wagen an. Wladimir Tschernow wurde in einen geworfen, seine Leibwächter in den anderen. Was Ludmilla Akulowa betraf, kam sie mit einer Warnung davon, die ein Mann mit blutleerem Gesicht und Augen wie Gletschereis in fließendem Russisch aussprach: »Wenn Sie auch nur ein Wort über diese Sache verlieren, bringen wir Sie um. Und dann bringen wir Ihre Eltern um. Und danach rotten wir Ihre gesamte Familie aus.« Als die Wagen davonrasten, konnte Gabriel den Blick nicht von Ludmillas entsetztem Gesicht wenden. Er glaubte an diese Frau. Die Frauen, sagte er, seien Russlands einzige Hoffnung.

45 H AUTE -S AVOIE , F RANKREICH
    Das Haus in dem französischen Département Haute-Savoie stand in einem einsamen Tal hoch über dem Annecysee. Das gepflegte Ferienhaus mit dem steilen Schindeldach war über einen Kilometer vom nächsten Anwesen entfernt. Jossi, der sich als englischer Krimiautor ausgegeben hatte, war am Vorabend eingezogen und hatte alles für die kommenden Verhöre vorbereitet. Jetzt stand er vor dem Haus, während die beiden Wagen, in deren Scheinwerferstrahlen leichter Schneefall glitzerte, langsam die kurvenreiche Straße heraufkamen.
    Zunächst stieg nur Gabriel aus dem ersten Fahrzeug – einem Renault Espace – und folgte Jossi ins Wohnzimmer. Sämtliche Möbel waren in einer Ecke zusammengeschoben, und der Fußboden war ganz unter Abdeckplanen verschwunden. Genau wie Gabriel angeordnet hatte, brannte in dem großen offenen Kamin ein helles Feuer. Er legte zwei Holzscheite nach, dann ging er wieder hinaus. Inzwischen war ein dritter Wagen vorgefahren. Eli

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