Der Oligarch
selten. Irina sollte eine Ausnahme bilden, wenn ich freiwillig mitkäme. Ich habe alles getan, was von mir verlangt wurde. Aber nach wenigen Tagen Gefangenschaft, als ich in den Kellern der Lubjanka verhört wurde, hat ein Mann, der einst mein Freund war, mir erzählt, Irina sei tot. Er hat gesagt, Charkow habe sie erschossen und in einem anonymen Grab verscharrt. Er hat gesagt, als Nächster sei ich an der Reihe.«
In diesem Augenblick erlosch der rosige Widerschein der Schneewehe und der Kellerraum lag wieder im Dunkeln. Chiara weinte lautlos. Sie wünschte sich verzweifelt, Grigorij sagen zu können, dass seine Frau noch lebte. Aber das konnte sie nicht. Charkow hörte mit.
50 Z ÜRICH
Später würde Schamron Konrad Becker als Gabriels einzigen Glückstreffer bezeichnen. Alles andere verdiente Gabriel sich durch harte Arbeit oder durch Blut. Nicht jedoch Becker. Becker wurde ihm in Geschenkpapier mit großer Schleife präsentiert.
Seine Bank war keine der Kathedralen der Schweizer Hochfinanz, wie sie über dem Paradeplatz aufragen oder die elegant geschwungene Bahnhofstrasse säumen. Sie war eine Privatkapelle: ein Ort, an dem Kunden beten oder absolut diskret ihre Sünden beichten konnten. Nach Schweizer Recht dürfen Banken dieser Art nicht um Einlagen werben. Sie können sich als Banken bezeichnen, wenn sie das wünschen, sind aber nicht dazu verpflichtet. Manche dieser Institute beschäftigen mehrere Dutzend Angestellte und Vermögensberater, andere nur eine Handvoll.
Becker & Puhl gehörte zur zweiten Kategorie. Die Privatbank residierte in einem ruhigen Abschnitt der Talstrasse im Erdgeschoss eines alten bleigrauen Bürogebäudes. Der nur mit einem kleinen Messingschild bezeichnete Eingang war leicht zu übersehen, was ganz Konrad Beckers Absicht entsprach. An diesem Morgen stand er um sieben Uhr in dem düsteren Foyer: eine kleine glatzköpfige Gestalt mit der ungesunden Blässe eines Menschen, der selten ans Tageslicht kommt. Wie gewöhnlich hatte er zu seinem feierlichen dunklen Anzug die silbergraue Krawatte eines Sargträgers umgebunden. Seine lichtempfindlichen Augen waren hinter getönten Brillengläsern verborgen. Sein knapper Händedruck war eine bewusste Kränkung.
»Welch unangenehme Überraschung. Was führt Sie nach Zürich, Herr Allon?«
»Geschäfte.«
»Nun, dann sind Sie am rechten Ort.«
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und führte Gabriel einen mit hochflorigem Teppichboden ausgelegten Flur entlang. Das Büro, das sie betraten, war von bescheidener Größe und schlecht beleuchtet. Becker ging langsam um seinen Schreibtisch herum und ließ sich zögernd in dem ledernen Chefsessel nieder, als probiere er ihn zum ersten Mal aus. Nachdem er Gabriel einige Augenblicke lang nervös gemustert hatte, fing er an in den Papieren auf seinem Schreibtisch zu blättern.
»Herr Schamron hat mir zugesichert, es werde keine weiteren Kontakte zwischen uns geben. Ich habe meinen Teil unserer Vereinbarung erfüllt und erwarte, dass Sie Wort halten.«
»Ich brauche Ihre Hilfe, Konrad.«
»Und welche Art von Hilfe verlangen Sie von mir, Herr Allon? Möchten Sie, dass ich an einem Angriff auf Hamas-Ziele im Gazastreifen teilnehme? Oder soll ich Ihnen vielleicht helfen, die iranischen Atomanlagen zu zerstören?«
»Werden Sie nicht melodramatisch.«
»Wer ist hier melodramatisch? Ich kann von Glück sagen, dass ich noch lebe.« Becker faltete seine auffällig kleinen Hände auf der Schreibtischplatte. »Ich bin ein Mann von schwacher körperlicher und emotionaler Konstitution, Herr Allon. Ich schäme mich nicht, das einzugestehen. Ich schäme mich auch nicht zu sagen, dass ich wegen unseres kleinen Abenteuers in Wien noch immer Albträume habe.«
Erstmals seit Chiaras Entführung war Gabriel versucht zu lächeln. Selbst er konnte kaum glauben, dass der kleine Schweizer Bankier eine Schlüsselrolle bei einem der größten Coups gespielt hatte, der dem Dienst jemals gelungen war: die Entführung des deutschen Kriegsverbrechers Erich Radeck. Durch seine Mitwirkung hatte Becker gegen die sakrosankten Schweizer Bankengesetze verstoßen. Wäre seine Rolle bei Radeks Entführung jemals bekannt geworden, hätte er ziemlich sicher mit einem Prozess oder – noch schlimmer – mit dem finanziellen Ruin rechnen müssen. Das alles erklärte Gabriels Zuversicht, Becker würde nach anfänglichen Protesten kooperativ sein. Ihm blieb schließlich nichts anderes übrig.
»Wir haben erfahren, dass Sie ein
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