Der Olivenhain
vergeblich versucht, dir klarzumachen, dass nicht ich das Problem bin. Mit dir stimmt was nicht, du bist ein seelisches Wrack, und zwar nicht bloß, weil du ein verkrüppeltes Bein hast.
»Übernimm wenigstens einmal die Verantwortung für das, was du getan hast, und gib deine Schuld zu. Humple ich etwa durch die Welt und bettle um Mitleid? Versuche ich, Leute zu manipulieren, nur weil ich denke, dass mir das Schicksal übel mitgespielt hat?« Callie packte Deborah am Kragen und fing an, sie zu schütteln. »Denkst du denn, die Welt dreht sich nur um dich? Mit dir stimmt doch etwas nicht!«
Deborah stieß ihre Mutter mit solcher Wucht von sich, dass sie zu Boden ging und dabei mehrere Plastikstühle mitriss. Ein Mann, der mit ihnen im Warteraum saß, brüllte, sie sollten aufhören.
Deborah ging auf ihre Mutter zu, die wegen ihres kaputten Beines Mühe hatte, wieder hochzukommen. Deborah hätte ihr aufhelfen können, doch Callie robbte zur Seite, als ihre Tochter ihr die Hand reichte. Daraufhin trat Deborah nach ihrer Mutter, die aufschrie, und der Mann, der sich eben beschwert hatte, trennte die beiden. Deborah brüllte ihn an und griff blindwütig nach einem Plastikstuhl, den sie gegen den großen Kaffeespender im Warteraum schleuderte.
Das laute Scheppern rüttelte die ganze Klinik auf.
Einen Augenblick später trat ein Sicherheitsmann aus dem Aufzug und kam schwerfällig auf sie zu. Bets hielt Deborah fest in den Armen und flüsterte: »Schschhhh, ist schon gut.« Der Wachmann half Callie auf einen Stuhl. Sofort eilte eine Schwester herbei, kniete neben Callie nieder und fragte, ob sie Schmerzen habe.
Deborah riss sich aus Bets’ Umarmung los und rannte auf die Schwester los. »Und was ist mit mir? Ich habe auch Schmerzen!«
Der Sicherheitsmann nutzte die Gelegenheit, packte sie am Arm und band ihr die Hände mit einem Kabelbinder auf den Rücken. »Sie kommt jetzt mit mir nach draußen«, sagte er. »Ganz ruhig bleiben«, flüsterte er in Deborahs Ohr, »was soll dieses Theater? Warum führen Sie sich so auf? Niemand randaliert in meinem Krankenhaus, ist das klar?«
Sie ließ sich in seinen festen Griff fallen und wäre dabei fast gestolpert. Alle Kraft wich aus ihrem Körper und sickerte langsam in den Linoleumfußboden, der dem Geruch nach mit demselben Wachs gebohnert wurde wie der in Chowchilla.
Deborah und der Sicherheitsmann setzten sich draußen an der Klinikauffahrt auf eine Bank und sahen zu, wie die Sonne aufging. Die hinter den Ausläufern der Sierra Nevada einsetzende Morgendämmerung warf einen langen Schatten auf Kidron. Der Himmel war wolkenlos und der Sonnenaufgang deshalb auch nicht spektakulär: Verhangenes Blau ging allmählich in orangegelbes Glimmen über.
»Wird gleich hier sein«, sagte der Sicherheitsmann.
Sie warteten auf einen Polizeibeamten aus Kidron, der den Vorfall aufnehmen sollte. Die Krankenhausleitung hatte die Polizei angerufen. »Ich glaube kaum, dass meine Mutter Strafanzeige gegen mich erstattet«, murmelte Deborah.
Der Streifenwagen hielt mit quietschenden Reifen neben ihnen, und ein kleiner runder Mann in brauner Uniform stieg aus. Er war wohl Ende vierzig, wirkte aber jünger, und seine blonden Haare hatten einen leichten Stich ins Pinkfarbene, sodass er auf Deborah wirkte, als würde er gleich in Flammen aufgehen. Seine Augen waren braun, und er hatte einen sehr schmalen Mund. Er würdigte Deborah keines Blickes, schüttelte jedoch dem Sicherheitsmann übertrieben freundlich die Hand.
Nachdem sie wie alte Bekannte Höflichkeiten ausgetauscht hatten, schilderte der Wachmann den Vorfall. Als der Beamte sie anschließend vernahm, hielt er einen Sicherheitsabstand zu Deborah, denn sie war einen halben Kopf größer als er, und sie merkte, dass er ihr keine Gelegenheit geben wollte, sich überlegen zu fühlen. Sie erklärte ihm, dass allen nach der dramatischen Geburt vor Erschöpfung die Nerven durchgegangen seien. »Meine Mutter wird Ihnen bestätigen, dass alles halb so wild war. Jedenfalls nicht wild genug für so etwas«, sagte Deborah und versuchte, die auf dem Rücken festgebundenen Hände hochzuheben.
Der kleine Beamte wippte auf den Sohlen. »Sie sind noch in der Bewährungszeit, sagen Sie?«
Das war ein Schlag in die Magengrube. Vorsichtig nickend versuchte sie sich kleiner zu machen, beugte die Knie und ließ die Schultern hängen.
»Hmmm, was machen wir denn da«, brummte der Polizist und legte die Stirn in Falten. Dann notierte er etwas in ein
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