Der Olivenhain
den Blendschutz auch drehte, Deborah konnte ihre Mutter nur in Umrissen erkennen. Callie sang leise die Lieder im Radio mit, und bei den Liebesliedern bebte ihre Stimme vor Rührung. Auf einmal hatte Deborah das Bedürfnis, ihr das Bein zu tätscheln und Mut zuzusprechen, dass bessere Zeiten anbrechen würden. Doch sie konnte sich nicht überwinden, ihre Hand auszustrecken.
Als sie aus dem Fahrstuhl traten, kam Bets ihnen aufgeregt entgegen. »Ihr müsst mit ihr reden, sie soll endlich Vernunft annehmen! Sie sagt, sie macht es nicht, obwohl die Ärzte dringend dazu raten.«
Aus Gründen, die Deborah nicht richtig einsehen wollte, hatte Erin entschieden, dass ihr Bets bei der Geburt beistehen sollte. Anscheinend vertraute sie ihr am meisten, weil Bets alle Kinder zu Hause ohne die Hilfe von Medikamenten auf die Welt gebracht hatte. Deborah fand das lächerlich, denn Bets hatte damals schlicht und einfach keine andere Wahl gehabt, weil es weit und breit kein Krankenhaus gab.
Callie nahm Bets bei den Händen. »Der Reihe nach, Mum. Was ist denn eigentlich los?«
Ohne abzuwarten, stürmte Deborah zu dem Raum, vor dem Anna nervös auf und ab ging. Drinnen hörte sie Erin mit einer Ärztin streiten, die immer wieder rief: »Aber Sie gefährden damit Ihr Kind!«
»Ich will aber keinen Kaiserschnitt«, rief Erin, als Deborah eintrat, und fegte das Tablett mit den Medikamenten vom Nachttisch. Die Strähnen ihres Ponys klebten auf der Stirn wie verschmierte Wimperntusche.
»Jedenfalls jetzt noch nicht«, sagte Deborah und stellte sich zwischen ihre Tochter und die Ärztin, die offenbar aus Korea stammte.
»Mum!«, rief Erin, und einen Moment lang dachte Deborah, sie würde gleich in Tränen ausbrechen. Vielleicht hatte sie vorher schon geweint, jedenfalls verdunkelten sich ihre hellgrauen Augen, und sie streckte die Hand nach Deborah aus.
Zum ersten Mal seit ihrer Entlassung hatte sie das Gefühl, gebraucht zu werden. Sie dachte daran, wie sie sich in Chowchilla all die Jahre Respekt verschafft hatte. Sie straffte die Schultern, reckte das Kinn in die Höhe, und ihre Augen verengten sich. »Sie geben uns jetzt fünf Minuten Zeit, damit wir besprechen können, wie es weitergeht. Wir stellen die Fragen, und Sie werden sie unvoreingenommen beantworten. Meine Tochter wünscht keine Medikamente, und sie will nicht, dass das Baby per Kaiserschnitt geholt wird«, sagte sie zu der Ärztin.
»Genau, ich will keinen Kaiserschnitt«, wiederholte Erin.
Die Ärztin versuchte zu erklären, dass sich bei der Messung der Wehen einige Unregelmäßigkeiten gezeigt hatten. Sie hielt ihnen ein Blatt Papier hin und zeigte mit dem Finger darauf. »Die Herztöne fallen immer wieder ab, das können Sie hier sehen. Es dauert zu lange, bis sie wieder ansteigen.«
Deborah verstand das nicht genau, signalisierte der Ärztin aber, weiterzureden. Hinter ihr fing Erin an, laut zu summen, als eine Wehe sie überrollte.»Die Wehen kommen regelmäßig alle drei Minuten, und der Muttermund hat sich auf fünf Zentimeter geweitet. Doch die Herztöne machen uns Sorgen.« Die Ärztin blickte hilflos umher, dann bedeutete sie Deborah, näher zu kommen, und flüsterte ihr zu: »Möglicherweise hat sich die Nabelschnur um das Baby gelegt.«
»Um den Hals?«, fragte Deborah und sah ängstlich zu Erin hinüber. Die hatte sich, nachdem die Wehe wieder abgeklungen war, auf die Seite gelegt.
»Nein, der Hals ist frei. Aber es könnte sein, dass sich die Nabelschnur um Rumpf, Schultern, Brustkorb oder Beine geschlungen hat. Die Belastungen für das Kind sind enorm. Durch einen Kaiserschnitt ließe sich das Risiko minimieren. Wir schneiden, holen das Kind – und fertig.«
»Könnten Sie uns einen Augenblick alleine lassen?«
»Das dauert zu lange. Ich hätte längst den Anästhesisten anfordern müssen; er wohnt in Redding und braucht eine Stunde für die Anfahrt. Wenn sich die Herztöne nicht normalisieren, müssen wir den Eingriff notfalls ohne Betäubung vornehmen.«
»Nur zwei Minuten.«
Eine Schwester kam herein, flüsterte mit der Ärztin und reichte ihr eine neue Monitoraufzeichnung. Sie starrten auf das Blatt Papier, dann nickte die Ärztin Deborah zu und verließ das Zimmer.
Vor der Tür hatten Anna, Bets und Callie gewartet, die nun auch ins Zimmer wollten. Erin saß mit angewinkelten Beinen auf dem Bett und schien fiebrig und bleich zugleich. Deborah winkte sie herein.
»Stell dich bei der nächsten Wehe auf alle viere, vielleicht geht es dann
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