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Der Olivenhain

Der Olivenhain

Titel: Der Olivenhain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Miller Santo
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schüttelte den Kopf. »Du musst dieses Geschäft mit dem Öl beenden. Es ist Quacksalberei. Es ist eine Sache, es diesen Dummköpfen zu verkaufen, die anstandslos so viel mehr dafür bezahlen, nur weil wir die Bäume mit Zitronensaft und Knoblauch spritzen statt mit Pestiziden, aber du weißt ganz genau, dass das Öl ungefähr genauso viel mit Annas hohem Alter zu tun hat wie die Gebete, die sie jeden Abend spricht.«
    »Ich brauche das Geld«, sagte Calliope. Sie wollte, dass ihre Mutter verstand, wie gewinnbringend ihre Verkaufsidee war. Schließlich behauptete sie nicht, dass das Öl lebensverlängernd wirkte, sondern hatte Anna lediglich gebeten zu erwähnen, dass sie jeden Abend etwas davon mit Brot aß.
    »Verkaufe den Laden«, sagte ihre Mutter. »Das könnte dir etwas einbringen.«
    »Ich soll was tun?« Calliope glaubte sich verhört zu haben. Sie hatte den Laden stets als ihren Notgroschen betrachtet, als ihren Pensionsplan. Sie zahlte noch immer den Kredit ab; von dem Gehalt, das sie sich überwies, konnte sie kaum etwas zurücklegen.
    Wenn sie aber ein überdurchschnittlich gutes Jahr hätte, könnte sie den Kredit tilgen, Nancy die Geschäftsführung übertragen und von dem leben, was sie bis dahin monatlich an die Bank überwiesen hatte. Unter den gegebenen Umständen jedoch würde sie mindestens noch weitere zehn Jahre brauchen, um genug Geld für ihren Lebensabend zu verdienen, und dabei war ihre erhöhte Lebenserwartung noch nicht einmal eingerechnet.
    »Es würde nicht reichen«, sagte sie.
    »Er steht dir im Weg«, erwiderte ihre Mutter.
    »Wer steht dir im Weg?«, fragte Erin. Sie war in der Tür erschienen, ohne dass die anderen sie bemerkt hatten. Sie starrten sie an, deshalb erklärte sie: »Ich habe den Kleinen gerade gestillt, und er ist endlich eingeschlafen. Anna dagegen war sofort weg.«
    »Lass Mama ja nicht hören, dass du sie des Schlafens bezichtigst«, sagte Bets.
    »Wie du weißt, ruht Grandma nur und hält lediglich Rückschau auf ihre Vergangenheit, wenn sie die Augen geschlossen hat«, ergänzte Calliope.
    Erin zog sich einen Stuhl heran. Das Mädchen war erschöpft. Calliope erinnerte sich noch gut, wie geschafft sie selbst gewesen war, wie ihre Nerven aufgrund des Schlafmangels so blank gelegen hatten, dass sie bei der kleinsten Bemerkung in Tränen oder Geschrei ausgebrochen war. Sie hatte ihrem Bein die Schuld daran gegeben.
    Einer der Gründe, weshalb sie Greg geheiratet hatte, war, dass sie ihn stundenlang hatte anschreien dürfen, ohne dass er auch nur eine Miene verzog. Er machte einfach mit dem weiter, was er gerade tat, sei es Fernsehen oder Schnitzen, bis sie sich irgendwann abreagiert hatte und anfing zu weinen. Und hier war sie nun, vierzig Jahre später, und noch immer war es ihr nicht gelungen, diese Angewohnheit abzulegen.
    »Mum ist der Meinung, dass ich den Laden verkaufen soll«, sagte Calliope. Sie glaubte, dass Erin für sie Partei ergreifen würde, dass sie betonen würde, welches Vermächtnis der Laden darstellte, doch stattdessen nickte die zustimmend. »Der Laden bringt dich um.«
    »Er dient dir zu oft als Ausrede«, fügte Bets hinzu. »Du hättest bei Debs Anhörung dabei sein müssen.«
    Da brach Erin in einen regelrechten Redeschwall aus, dem die beiden anderen nur mit Mühe folgen konnten. Sie schwelgte in Erinnerungen an die Zeit, die sie als Kind im Laden verbracht hatte, und gab eine lustige Geschichte über Oliven und Mäusekot zum Besten, die sie nicht zu Ende erzählte. Bets lächelte Calliope über den Tisch hinweg an, und sie dachten beide daran, wie anstrengend die ersten Monate als junge Mutter waren.
    »Ich dachte immer, dass du eines Tages weggehen würdest. Meine ganze Kindheit und Jugend wusste ich, dass du mit deinem gesunden Bein bereits aus der Tür warst und dass ich eines Tages aufwachen und feststellen würde, dass nur noch Anna und Bets da wären, um mich großzuziehen.« Erin gähnte und dann, bevor sie ihren Kopf auf die Tischplatte legte, fragte sie noch müde: »Warum bist du nicht weggegangen?«
    Calliope sah ihre Enkelin an und fühlte sich so erschöpft wie eh und je. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte nicht geahnt, dass das Mädchen spürte, wie gefangen sie sich in Kidron fühlte. Der vergangene Sommer war der erste gewesen, in dem sie nicht geplant hatte fortzugehen.
    Nur weil sie all die Jahre ihre Flucht geplant hatte, war es ihr gelungen, nicht den Verstand zu verlieren, doch dieses Jahr war ihr ihre

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