Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)
Entweder sie verbergen es, oder es muss noch reifen. Einmal gereift, ist es unverkennbar.«
»Aber Jessie ist der Schatz, der Segen.«
»Genau. Und Sie?«
»Keine Kinder.«
»Ihre Frau. Ihre getrennte Frau. Ist sie verrückt?«
»Sie hält mich für verrückt.«
»Das glauben Sie nicht«, sagte er.
»Ich weiß es nicht.«
»Was versuchen Sie da zu schützen? Sie ist verrückt. Sagen Sie es.«
Wir flüsterten immer noch, männerbündelten flüsternd, aber ich wollte es nicht sagen. Ich lehnte mich zurück und schloss einen Moment die Augen, sah meine Wohnung, klar und still und leer, vier Uhr nachmittags Ortszeit, und es schien mehr von mir dort in dem staubigen Licht zu sein als hier, im Haus oder unter freiem Himmel, aber ich fragte mich, ob ich wirklich zu dem Leben eines Mannes zurückkehren wollte, der in zwei Zimmern lebt, umgeben von der Stadt, die gebaut wurde, um Zeit zu messen, wie Elster es formuliert hatte, die schleichende Zeit der Armbanduhren, Kalender, verbliebenen Lebensminuten.
Dann sah ich ihn an und fragte, ob es ein Fernglas im Haus gebe. Wir werden es für die Expedition brauchen, sagte ich. Das schien ihn zu überraschen. Die Dickhornschafe, sagte ich. Wenn wir nicht von einer Sintflut weggeschwemmt werden. Wenn die Hitze uns nicht umbringt. Dann werden wir uns ein Fernglas wünschen, für die Einzelheiten. Das Männchen ist das mit den Hörnern, lang und geschwungen.
Sie sagte beim Abendessen etwas Lustiges, nämlich dass ihre Augen in New York enger beieinanderstünden, wegen der ständig verstopften Straßen. Hier draußen gehen die Augen nach außen, Augen passen sich an die äußeren Bedingungen an, wie Flügel oder Schnäbel.
Andere Male wirkte sie betäubt allem gegenüber, was eine Reaktion hervorrufen konnte. Ihr Blick hatte etwas Verkürztes, er erreichte nicht die Wand und nicht das Fenster. Ich fand es verstörend, sie zu beobachten, im Wissen, dass sie sich nicht beobachtet fühlte. Wo war sie? Nicht in Gedanken oder der Erinnerung versunken, ebenso wenig den Verlauf der nächsten Stunde oder Minute kalkulierend. Sie war vermisst gemeldet, straff in ihrem Innern gefesselt.
Ihr Vater bemühte sich sehr, diese Momente nicht zu bemerken. Er saß am anderen Ende des Zimmers mit seinen Dichtern und bewegte die Lippen beim Lesen.
Ich sprach Richard Elster nach einem Vortrag an, den er an der New School hielt, und verschwendete keine Zeit, ich erzählte ihm von meiner Idee für einen Film, schlicht und stark, sagte ich, Mann und Krieg, und er verschwendete ebenso wenig Zeit und ließ mich mitten im Satz, mitten in einer Geste stehen, aber nur vorübergehend. Ich folgte ihm den Korridor entlang, sprach weniger schnell, und dann in den Fahrstuhl, immer noch sprechend, und als wir draußen auf der Straße standen, sah er mich an und machte eine Bemerkung über mein Aussehen, er sagte, ich sähe aus wie er, als er viel jünger war, ein unterernährter überarbeiteter Student. Ich nahm das als Ermutigung, gab ihm meine Karte und hörte mir an, wie er sie laut vorlas, Jim Finley, Faulpelz Filme. Aber er war nicht daran interessiert, an einem Film mitzuwirken, weder an meinem noch an dem eines anderen.
Die zweite Begegnung war länger und schräger. Museum of Modern Art. Egal, wie oft ich zum Museum laufe, von Osten nach Westen gehe, immer liegt es weiter die Straße hinunter als beim letzten Mal. Ich schlenderte durch eine Dada-Ausstellung, und dann stand Elster da, allein, über eine Vitrine gebeugt. Ich wusste, er hatte etwas über die Bedeutungsebenen von Babysprache geschrieben und interessierte sich deshalb natürlich für eine größere Ausstellung von Objekten, die im Namen einer zerstörten Logik geschaffen worden waren. Ich folgte ihm eine halbe Stunde lang. Ich sah mir an, was er sich ansah. Manchmal stützte er sich auf seinen Stock, dann wieder trug er ihn einfach, wahllos, waagerecht durch Menschenmengen hindurch. Ich sagte mir, sei ruhig, sei höflich, sprich langsam. Als er zum Ausgang strebte, trat ich zu ihm, erinnerte ihn an die frühere Begegnung, sprach ein bisschen Babysprache und drängte ihn freundlich quer über die sechste Etage zu dem Kabinett mit der langsam atmenden Psycho -Installation. Wir standen im Dunkeln und schauten. Ich spürte fast sofort, dass Elster sich wehrte. Irgendetwas wurde hier unterminiert, seine übliche Reaktionssprache. Tot geborene Bilder, zusammenbrechende Zeit, eine Idee, die so offen für Theorie und Streitgespräch war, dass
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