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Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Titel: Der Omega-Punkt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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und keuchte, ein Arm, dann der andere, rauf und runter, klang dabei wie ein Mann mitten in kontrollierter Strangulation, autoerotisch erstickend.
    Was tat ich? Ich füllte die Styropor-Kühlbox mit Tüten voller Eiswürfel und Wasserflaschen und machte ziellose Ausflüge mit dem Auto, bei denen ich mir Bluessänger auf Kassette anhörte. Ich schrieb einen Brief an meine Frau und überlegte dann, ob ich ihn abschicken oder zerreißen oder ein paar Tage warten und ihn dann neu schreiben und abschicken oder zerreißen sollte. Ich warf Bananenschalen von der Terrasse, den Tieren zum Fraß, und ich hörte auf, die Tage seit meiner Ankunft zu zählen, irgendwo um die zweiundzwanzig. In der Küche sagte er: »Ich weiß alles über Ihre Ehe. Sie hatten die Art von Ehe, wo man sich alles erzählt. Sie haben ihr alles erzählt. Ich sehe Sie an und sehe das in Ihrem Gesicht. Das ist das Schlimmste, was Sie in einer Ehe tun können. Ihr alles erzählen, was Sie fühlen, alles erzählen, was Sie tun. Deshalb hält sie Sie für verrückt.«
    Beim Abendessen, über dem nächsten Omelett, wedelte er mit seiner Gabel und sagte: »Verstehen Sie, es geht nicht um Strategie. Ich rede nicht von Geheimnissen oder Täuschungsmanövern. Ich rede davon, dass Sie Sie selbst waren. Wenn Sie alles enthüllen, jedes Gefühl entblößen und um Verständnis bitten, dann verlieren Sie einen entscheidenden Teil von Ihrem Selbstgefühl. Sie müssen Dinge wissen, die die anderen nicht wissen. Erst das, was niemand von Ihnen weiß, erlaubt Ihnen, sich selbst zu kennen.«
    Jessie sorgte für eine Rotation der Gläser und Teller im Schrank, damit wir nicht immer dieselben benutzten und die anderen vernachlässigten. Sie tat das in periodischen Anfällen von Energie, eine Besessene, die eine systematische Anordnung in der Spüle erarbeitete, im Abtropfkorb und auf den Regalen. Ihr Vater ermutigte sie dabei. Er trocknete die Teller ab und sah ihr dabei zu, wie sie sie wegräumte, jeden an seinen vorgesehenen Platz. Sie funktionierte, sie half im Haus mit, und sie tat das im Übermaß, was gut war, super, sagte er, weil was heißt das schon, Abwaschen, wenn man nicht von etwas angetrieben wird, das über die bloße Notwendigkeit hinausgeht.
    Er sagte zu ihr: »Bevor du abfährst, möchte ich gern, dass du ein Dickhornschaf siehst.«
    Ihre Kinnlade klappte herunter, und sie streckte die Hände aus, Handflächen nach oben, so, wo kam das denn jetzt her, so, womit habe ich das verdient, mit aufgerissenen Augen, ein verblüfftes Comic-Kind.
    Am Abend redete sie über Kunstgalerien in Chelsea.
    Sie besuchte die Galerien meist mit einer Freundin namens Alicia. Sie sagte, Alicia sei so dumm wie Brot. Sie sagte, sie gingen oft die lange Straße entlang und suchten sich aufs Geratewohl Galerien aus, schauten sich die Kunst an und gingen dann weiter die Straße entlang und um die Ecke und die nächste Straße hoch, gehen und schauen, und eines Tages sei ihr etwas Unerklärliches eingefallen. Komm, wir machen dasselbe, dieselben Straßen rauf und runter, aber ohne in die Galerien reinzugehen. Alicia sagte Ja, so, auf der Stelle. Sie taten es, und es war unspektakulär aufregend, sagte sie, es war so die Idee ihres Lebens, für beide. An Nachmittagen unter der Woche diese langen, meist leeren Straßen entlangzugehen, kommentarlos an der Kunst vorbei, und dann die Straße zu überqueren und auf der anderen Seite derselben Straße wieder hochzugehen, um die Ecke zu biegen und in die nächste Straße zu gehen und die nächste Straße entlangzugehen und sie zu überqueren und dieselbe Straße wieder hochzugehen. Runter und dann wieder rauf und dann rüber zur nächsten Straße, immer wieder, gehen und reden. Das vertiefe die Erfahrung, ganz ehrlich, sagte sie, mache sie besser und aufmerksamer, Straße um Straße.
    Am Abend stand sie an der Kante der Terrasse, ins Dunkel schauend, Hände auf dem Geländer.
    Es war fast eine Pose, passte gar nicht zu ihr, und ich stand auf, wusste nicht genau, warum, stand einfach auf und beobachtete sie. In Elsters Schlafzimmer war immer noch das Licht an. Ich glaube, ich wollte, dass sie sich umdrehte und mich dort stehen sah. Wenn ich etwas sagen würde, wüsste sie, dass ich aufrecht stand. Der Ursprung der Stimme würde ihr anzeigen, dass ich stand, und sie würde sich fragen, warum, und sich dann umdrehen und mich ansehen. Das würde mir verraten, was sie wollte, ihre Art, sich umzudrehen, der Blick auf ihrem Gesicht, oder was ich

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